EINTRACHT 2.1: Perspektiven für die Jugendarbeit in Braunschweig, Teil 1
8 min read1. EINFÜHRUNG: VERSUCH EINER BESTANDSAUFNAHME
Vorweg ein Blick in die Vergangenheit: Grobe, die Schmäler-Zwillinge, Madlung und Pfitzner aus Braunschweig sowie beispielsweise Dremmler, die Hain-Brüder oder Lux aus dem Umland (Goslar, Salzgitter, Wolfenbüttel, Gifhorn) – das Braunschweiger Land hat eine Reihe von Spielern hervorgebracht, die den Sprung in den Profi-Fußball geschafft haben in den letzten Jahrzehnten.
Aktuell verdienen unter anderem Knoche und Horn, Tietz und Kyereh, Kloß und Bär, Kleinsorge und Rossmann, Möker und Jastremski ihr Geld mit Fußball. Auch wenn diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, viele sind es nicht, die meisten von ihnen sind nicht einmal (komplett) bei Eintracht ausgebildet worden, bis ganz nach oben hat es kaum einer geschafft.
Vorbilder für Kinder und Jugendliche aus den Jahrgängen ab 2007 gibt es demnach nicht sehr viele. Hinzukommt, dass die Konkurrenz vom Kanal, wie man zum Beispiel bei Kloß oder Knoche, Möker oder Jastremski sieht, oft die besseren Argumente zu bieten hat, was schon bei den Trainingsanlagen anfängt.
Das Nachwuchsleistungszentrum im Sportpark Kennel wird vom lokalen Großsponsor zwar für die Grundversorgung ausreichend alimentiert, für echte Erfolge langt es jedoch nicht, wenn man vom Pokalsieg der U19 im Jahr 2017 absieht.
Sowohl die U19 als auch die U17 des BTSV sind nicht mehr in der jeweiligen Nachwuchs-Bundesliga am Start, eine Stufe darunter plagt sich zum Beispiel die U17 mit den Zweitvertretungen der über-regionalen Konkurrenten herum.
Die letzten Spieler, die man aus der eigenen Jugend in den Profi-Bereich hochgezogen hat – Kleeberg und Stumpe – musste man mangels Perspektive wieder abgeben. Nur Emil Kischka hat es als Eigengewächs immerhin zweimal in den Profi-Kader geschafft in dieser Saison.
Alles in allem fällt die kurze Bestandsaufnahme auf den ersten Blick eher negativ aus, von heute auf morgen wird sich dies auch nicht ändern lassen. Gerade für einen Verein wie Eintracht Braunschweig gibt es aber kaum einen besseren Weg, um mittel- und langfristig erfolgreich zu sein, als eine erfolgreiche Jugendarbeit.
Dafür bräuchte es die richtige Kombination aus Konzepten, Köpfen und Kapital. Je überzeugender die passenden Konzepte von den richtigen Köpfen entwickelt werden, desto leichter wird das Kapital fließen.
Auf Dauer wird dieses Geld wesentlich effektiver und nachhaltiger investiert sein, man muss jedoch wirklich sehr langfristig planen, zehn bis fünfzehn Jahre sind ein halbwegs realistischer Rahmen. Mehr Kapital würde es in Braunschweig vielleicht geben, doch die aktuelle Kombination von Konzepten und Köpfen überzeugt – bisher – offenbar nicht genug.
Die Voraussetzungen müssen dafür im Gesamtverein und im Profi-Bereich geschaffen werden. Immerhin lässt man sich jetzt bei Eintracht von einer Kölner Firma beraten bei der Entwicklung einer Strategie. Eine blaugelbe DNA sollte dabei im Zentrum stehen, denn die ist auch für das NLZ zwingend notwendig.
Mit Pfitzner und Kessel beispielsweise gibt es inzwischen genug ehemalige Spieler als Trainer im Nachwuchsbereich, welche diese blaugelbe DNA verkörpern und die dringend benötigte Vorbildrolle einnehmen können.
„Die Löwen-DNA soll weiter ausdifferenziert werden“, heißt es vollmundig auf der Homepage, sie erst einmal allgemein sichtbar zu etablieren sollte der Schritt davor sein.
Dabei gibt es im NLZ sehr positive Ansätze, zum Beispiel das prämierte Gesundheits- und Präventionskonzept, entwickelt von Jesper Schwarz, oder die beginnende Regionalisierung der Jugendarbeit, koordiniert von André Kucharski.
Auch die digitale Kommunikation im NLZ ist inzwischen up to date. Hervorheben sollte man noch soziale Projekte wie ein Anti-Diskriminierung-Projekt in diesem Jahr mit Maccabi Deutschland e.V.
Bisher sind es aber eben mehr oder minder nur Ansätze, auch wenn der BTSV mit der üblichen Marketing-Lyrik einen anderen Eindruck vermitteln möchte.
Eine Grundidee ist vorhanden, sie muss jedoch an manchen Stellen geschärft, weiterentwickelt, immer wieder überprüft und vor allem jeden Tag gelebt und umgesetzt werden. Wer häufiger bei den Spielen der U17 und U19 zu Gast ist, bekommt zumindest den Eindruck, dass mehr Herzblut beim gesamten Personal vorhanden ist als noch vor einigen Jahren.
Hier soll es in den nächsten Teilen darum gehen, grundsätzliche Ideen, konkrete Konzepte und sinnvolle Investitionen im Kleinen wie im Großen vorzustellen.
Dabei wird einerseits Bezug genommen auf aktuelle Ansätze und Probleme der Nachwuchsförderung in Deutschland (Funino und NLZ-Ligen) und andererseits auf Vereine, die in der Jugendarbeit sehr erfolgreich sind wie der SC Freiburg, die hier schon ausführlich vorgestellten dänischen Vereine oder auch AZ Alkmaar und Athletic Bilbao.
Die Grundannahme, auf der all diese Überlegungen basieren, ist dabei weiterhin folgende: Genau jetzt, in diesem Moment, gibt es in der Weststadt und in Lehndorf, in der Juliusstadt, in Schöppenstedt und Vienenburg, in Thiede und Lebenstedt ein Kind, welches das Zeug hat, in zehn bis fünfzehn Jahren mit dem roten Löwen auf der Brust für den BTSV im Eintracht-Stadion zu spielen – denn Talent gibt es buchstäblich überall, man muss es nur finden und fördern.
2) ALLGEMEINE ANSÄTZE
a) Fuñino: „ERLEBNIS STATT ERGEBNIS“ ODER DIE VERORDNETE REVOLUTION
GRUNDSÄTZLICHES
Wenn man ganz unten anfangen möchte, buchstäblich bei der Gras-Wurzel, dann muss man bei Fuñino beginnen:
Fuñino kennt immer noch nicht jeder und die, die es kennen, sind oft erst skeptisch oder lehnen es ganz ab. Daher ist es kein Wunder, dass Fuñino und das gesamte neue Nachwuchs-Konzept des DFB beispielsweise in England von Fachleuten gefeiert werden, während man hierzulande noch Überzeugungsarbeit leisten muss….
Dabei soll Fuñino nach dem Willen des DFB im nächsten Jahr bereits landesweit die verpflichtende Wettkampfform in der G-/F-Jugend, also für die fünf- bis neunjährigen Kinder werden.
Fuñino wird grundsätzlich im Drei gegen Drei auf jeweils zwei kleine Tore gespielt. Dadurch ist jede/r immer in Bewegung, muss immer Mit- und Gegenspieler/-in sowie vier Tore im Blick haben, muss permanent Spielsituationen im Zusammenspiel mit den Mitspielern/Mitspielerinnen oder auch im Eins gegen Eins auflösen und daher ständig Entscheidungen treffen. Kurz- und Flachpassspiel werden quasi automatisch verinnerlicht. Das wichtigste aber ist sicherlich, dass die Ballkontaktzeit für jede/n im Schnitt deutlich erhöht wird. So kommt man zu deutlich mehr „Erlebnis“ für alle Kinder und sorgt damit für mehr Freude am Spielen, macht den Sport damit attraktiver, was letztlich dazu führt, dass deutlich mehr Kinder deutlich länger dabeibleiben.
Ein Wettkampf ist es davon unabhängig nach wie vor, auch bei Fuñino geht es letztlich um Tore und Siege.
Die Regeln sind bewusst schlicht gehalten. Beispielsweise gibt es kein Abseits, keinen Einwurf oder andere Standards. Tore dürfen nur aus der Schusszone erzielt werden. Trainer und vor allem Eltern sollen sich absolut zurückhalten
Erfunden hat Fuñino der Hockeytrainer Horst Wein vor über 30 Jahren in Spanien, daher der Name: „Fun“ + „ñino“ (spanisch für Kind) = Fuñino. Ein entscheidender Impuls kam dabei – wie sollte es anders sein – vom FC Barcelona. Für Wein ist Fuñino „die gesündeste Droge, die man sich vorstellen kann, für unsere Jugend“. Sieben gegen Sieben sei dagegen „Terrorismus“ gegenüber Kindern.
Der Sportwissenschaftler Matthias Lochmann, als Trainer eine Zeit lang im Jugendbereich von Mainz 05 tätig, hat dieses Konzept wissenschaftlich untersucht und seine positiven Effekte belegt.
Der NFV fördert die Verbreitung des neuen Basis-Kinder-Fußballsports. Eine Zeitlang zumindest soll er den Vereinen das Angebot gemacht haben, dass der Verband jedes zweite kleine Tor, das man anschaffen muss, finanziert. Erst letztens hat sich der NFV umfangreicher zu „Irrtümern“ geäußert. Hervorzuheben ist vor allem, dass Mannschafts- und Spielfeldgröße mit zunehmenden Alter wachsen.
Wettkämpfe finden in erster Linie in Festival-Form, also als Turniere statt. Absoluter Rekord bisher in Deutschland: Im letzten Juli fand ein Turnier in Berlin mit 700 Kindern statt, die in 128 Teams gegeneinander antraten.
KRITIK
Doch alles hat seinen Preis und das im doppelten Sinne: Torhüter, Standards, Flanken, Kopfbälle – all dies kann es nicht geben, was Kritiker massiv bemängeln. Torschuss- und Torwart-Training rücken tatsächlich bis zur E-Jugend zu Gunsten der fußballerischen Grundausbildung in den Hintergrund.
Außerdem seien der organisatorische und finanzielle Aufwand zu hoch, ein Tor koste mindestens 60 Euro, die Kinder würden lieber „echten“ Fußball spielen.
Manche wehren sich vor allem gegen die verbindliche Einführung dieses Nachwuchskonzeptes in ganz Deutschland für die Saison 24/25. Die Kritik geht zum Teil so weit, dass vereinzelt Vereine aus dem DFB austreten wollen
GEGENARGUMENTE
Schon aus Gründen der Gesundheitsprävention ist es allerdings gerade für jüngere Kinder vorteilhaft, dass der Ball die ganze Zeit am Boden bleibt (Stichwort Kopfverletzungen). Später muss man diese Lücke um so bewusster füllen, beispielsweise mit Teqball (dazu später mehr).
Anspruchsvoll, doch lösbar für die Trainer ist die Aufgabe, gewisse Defizite wie beispielsweise beim Torwartspiel, die zwangsläufig entstehen, mit entsprechender Trainingskonzeption in diesen und den folgenden Jahrgängen zu kompensieren. Zudem wurde auf Bolzplätzen oder Schulhöfen früher auch oft ohne Torhüter gespielt.
Insgesamt überwiegen, wenn man die Aussagen von Befürwortern und Kritikern vergleicht, die Vorteile die Nachteile bei weitem, auch wenn man die Einwände nicht einfach ignorieren kann. Ideal wäre es, wenn man möglichst viele von Funino überzeugen könnte.
Es scheint wie fast überall in Deutschland zu sein: Die Erfolge bleiben aus, eine Reform ist nötig, eine Idee ist da (und zwar schon lange), die Umsetzung aber geht nur schleppend voran, zum Teil wegen organisatorischer Defizite, zum Teil wegen großer Widerstände.
Vor allem kleineren Vereinen muss von Seiten der Verbände deutlich mehr als bisher dabei geholfen werden, diese neue Spielform organisatorisch zu bewältigen.
Fuñino will für fünf- bis neunjährige Kinder den Bolzplatz- und Straßenfußballer wieder zum Leben erwecken, um so die bestmögliche Basis zu legen für das spätere Fußballerleben auf dem großen Platz. Es gibt – um dies noch einmal zu betonen – kaum etwas Wichtigeres, wenn man Spaß am Fußball möglichst vielen Kindern vermitteln will und wenn man die Qualität im Kinder- und Jugendfußball nachhaltig und erheblich anheben will. Daher lohnt es sich auf jeden Fall, die aktuellen Schwierigkeiten und Widerstände zu überwinden und kleinere Nachteile in Kauf zu nehmen.
FUNINO BEI EINTRACHT?
Spätestens seit 2018 wird Fuñino auch im Großraum Braunschweig gespielt. Besondere Aufmerksamkeit scheint es allerdings hier bisher nicht zu bekommen. Beispielsweise in Cremlingen, Weddel, Veltenhof oder Waggum wird Fuñino für die G-/F-Jugend angeboten.
Gerade ein großer Verein wie Eintracht sollte sich an die Spitze dieser Bewegung in der Region stellen, so wie das beispielsweise der Clubb in Nürnberg mit seinem Projekt „1.FC Niño“ tut, welches bereits 2017 ins Leben gerufen worden ist. Dafür hat man sich unter anderem mit einem der großen Unternehmen der fränkischen Region zusammengetan und bildet dort Mitarbeiter als ehrenamtliche Fuñino-Trainer aus.
Mit Löwen.Partner ist in Braunschweig aber immerhin ein Anfang gemacht:
„Im Rahmen der LÖWENWETTKÄMPFE (Bio-Banding-Festivals, Fuñino-Festivals, Kleinfeldturniere unterschiedlichster Art und Leistungsvergleiche etc.) werden die Kids in unterschiedlichen Settings gefordert und einzigartig gefördert.“
Auf der Homepage des Gesamtvereins gibt es allerdings nicht einen Treffer, wenn man in der Suchmaske den Begriff „Fuñino“ eingibt. Das wird sich hoffentlich schnell ändern.
AUSBLICK – DIE THEMEN DER NÄCHSTEN TEILE:
Die geplante Einführung der NLZ-Ligen, die Regionalisierung der Jugendarbeit, Bio-Banding, unterschiedliche Trainingsansätze/ Weiterbildungsmöglichkeiten für die Trainer und technische Hilfsmittel (von der Augenklappe über Teqball bis zum Soccerbot360)
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