Eintracht 2.1 – über den Tellerrand geschaut, dritter Teil:
18 min readDer FC Nordsjaelland: jung, ambitioniert, kreativ, sozial, global vernetzt - erfolgreich
Die Grundlage: ein Zusammenschluss mehrerer kleiner Vereine im äußersten Nordosten Dänemarks:
Wenn man von Deutschland aus nach Schweden über Dänemark mit dem Auto fahren will und wie früher die Fähre von Helsingör nach Helsingborg nutzen möchte, kommt man gleich hinter Kopenhagen an der kleinen Stadt Farum (20 000 Einwohner) vorbei, dem Zentrum der Region Hovedstaden.
Ausgerechnet dort, im Nordosten der Insel Seeland, quasi im Windschatten der großen Kopenhagener Vereine Bröndby und FC, haben sich 2003 acht Vereine aus kleineren Orten zusammengeschlossen zum FC Nordsjaelland – zu Deutsch also wörtlich FC Nordseeland.

Die Heimstätte des Vereins ist das Stadion Right to Dream in Farum und bietet Platz für 10 000 Zuschauer.
Durch den Bau des Stadions verschuldete sich der Ort enorm, was sich zu einem Finanzskandal ausweitete. Der Bürgermeister, der damals dafür verantwortlich war, musste deshalb sogar für zwei Jahre ins Gefängnis.
Parallelen zum FC Midtylland:
In vielen Bereichen gibt es Parallelen zum FC Midtylland: Beide Vereine sind vergleichsweise jung, sie sind durch einen Zusammenschluss kleinerer Vereine entstanden, sie arbeiten auf Grundlage einer klaren Strategie, beide setzen auf Jugendarbeit, beide erzielen seit Jahren eine sehr positive Transferbilanz und beide haben eine „Afrika-Connection“.
Beide verbindet im Übrigen bereits eine besondere sportliche Geschichte: Man stand sich in den letzten Jahren dreimal im dänischen Pokalfinale gegenüber, die ersten beiden Male gewann der FC Nordsjaelland, erst im dritten Anlauf konnte der FC Midtylland den Spieß umdrehen.
Soziales Engagement steht beim FC Nordsjaelland allerdings deutlich mehr im Vordergrund. Dieser spezielle Aspekt wird im zweiten Teil genauer erläutert, vorher muss man allerdings die spezielle Entwicklung dieses Vereins betrachten, gerade was die Beziehung zu Tom Vernons Right-to-Dream-Akademie betrifft.

Wirtschaftliche und sportliche Besonderheiten:
Viele Fußball-Fans in Dänemark schauen eher skeptisch in den äußersten Nordosten ihres Landes.
Zum eher schlechten Ruf des FC Nordsjaelland hat nämlich neben dem bereits angesprochenen Finanz-Skandal um das neue Stadion vor allem beigetragen, dass die Pathway Group von Tom Vernon den Verein 2016 übernommen hat. Seitdem heißt das Stadion in Farum Right-do-Dream-Park.
Denn Tom Vernon gehört die Right-to-Dream-Akademie in Ghana, die er dort 1999 gegründet hat und die schon in den Football-Leaks aufgetaucht ist, weil dort Nachwuchsspieler schlecht behandelt worden seien. Vernon war vorher Scout für Manchester City. Zwischen dem FCN, Vernon und ManCity, mit anderen Worten seinen Eigentümern, soll es eine Absprache geben bzw. gegeben haben. Bislang ist allerdings kein Spieler vom FC Nordsjaelland zu Manchester City gewechselt.
Die Verantwortlichen des FC Nordsjaelland, in erster Linie Sören Kristensen, ein ehemaliger Coca-Cola Manager und bis vor kurzem Geschäftsführer, und sein Nachfolger, der ehemalige Akademie-Leiter Jan Laursen, präsentieren ein gänzlich anderes Bild von sich und ihrem Verein: Für sie steht er für kreative, nachhaltige und durchdachte Strategien und Vorgehensweisen, gerade was Nachwuchsarbeit und soziale Projekte angeht.
Ergebnis ist seit einer ganzen Reihe von Jahren eine sehr junge Mannschaft, größtenteils eine Mischung aus eigenen Nachwuchsleuten und afrikanischen Spielern, die einen sehr attraktiven Offensivfußball zelebriert.
Regelmäßig kann man aufsehenerregende Transfers vermelden, deren Erlöse wieder in die Jugendarbeit fließen. Die letzten Beispiele sind Mikkel Damsgaard, der dänische Euro-Held, Kamaldeen Sulemana, der in diesem Sommer für 15 Millionen Euro zu Stade Rennes wechselte und für Ghana im Januar am Afrika-Cup teilgenommen hat und der erst sechzehnjährige Zidan Sertdemir, der im Juli für zwei Millionen von Bayer Leverkusen verpflichtet worden ist.
Seit 2015 kam so eine Summe von mehr als 83 Millionen Euro zusammen. Im gleichen Zeitraum wurden nur gut drei Millionen Euro in der Kader investiert. Wenn der Verein Ablösesummen zahlt und bewusst Spieler von außen verpflichtet, sind es meist erfahrene dänische Abwehrspieler wie Kian Hansen oder im Dezember 21 Eric Marxen.
Aktuell befinden sich neun afrikanische Spieler im Kader der ersten Mannschaft, zu Beginn der laufenden Saison wurden sieben Spieler aus der eigenen U19 ins Profi-Team hochgezogen.
Seit Jahren ist der Kader der jüngste in den europäischen Profi-Ligen, 2019/20 zum Beispiel mit einem Durchschnittsalter von 22,5 Jahren. Die Profi-Mannschaft ist Vernons Worten zufolge im Grunde nichts Anderes als die älteste Jugendmannschaft.
Dass ein permanenter Umbruch, der durch die Transfers notwendig ist, die sportliche Entwicklung zumindest zeitweise bremsen kann, sieht man in dieser Saison, in der man bisher nur Platz zehn belegt.
Tom Vernons afrikanische Nachwuchsschmiede – die Right-to-Dream-Akademie in Ghana:
Bevor es zurück nach Farum geht, ein kurzes Porträt der Right-to-Dream-Akademie:
2001 hat Tom Vernon die Akademie in Dawu gegründet. Dawu liegt im Südosten Ghanas in der Nähe der Hauptstadt Accra.
Inzwischen werden dort 90 Jungen und Mädchen aus sieben Ländern ausgebildet und bekommen zusätzlich eine Schulbildung. Über 60 Profi-Fußballer hat man so hervorgebracht, weitere 60 konnten in die USA auf ein College gehen, zum Beispiel nach Stanford. Gesponsort wird die Akademie unter anderem von der Firma Tullow Oil.
Es stehen inzwischen acht Rasenplätze, ein Kraftraum, Schlafsäle für 90 Sportler und 60 Mitarbeiter zur Verfügung.
Die Entwicklung der Spieler und Spielerinnen ruht nach eigenen Angaben auf drei Säulen: Fußball, Charakter und Bildung.
Um die Schüler auf ihre zukünftigen Studien und Karrieren vorzubereiten, befindet sich eine Cambridge International School vor Ort, deren Schwerpunkt auf den MINT-Fächern Mathematik und Naturwissenschaften liegt.
An der Akademie hat man darüber hinaus den Anspruch, dass Schulbildung, fußballerische Ausbildung und charakterliche Entwicklung immer Hand in Hand gehen.
Die Arbeit an der Akademie basiert daher auf folgenden “Prinicples”: “Give back“, „Leadership/Purpose“, „African Development Opportunity“, „Gender Equality“, „Family“, und auf diesen „Values“: „Winning“, „Passion“, „Initiative“, „Integrity“, „Personal Ownership“, „Self Discipline“ und „Social Intelligence“.
Der Chef-Scout beschreibt die grundsätzliche Vorgehensweise auf der englischen Seite firsttimefinish.co.uk wie folgt:
„Bei RtD ist eines der größten Dinge, die wir zu lehren und zu verstehen versuchen, sich emotional um die Spieler im System zu kümmern, weshalb wir ihnen ein Fünfjahresstipendium geben und ihnen in den Zeiten vertrauen, in denen sie abtauchen, weil wir wissen, sie werden wiederkommen. Wir glauben an unser Scouting, unsere Trainer, Lehrer und unser Umfeld.
Wir haben die Unterstützung außerhalb des Spielfelds, die Trainer leisten die Arbeit, um die Spieler auf das Leistungsniveau zu bringen, und dann kümmern wir uns außerhalb des Spielfelds um ihr Potenzial.
Die ganze Zeit beschäftigen wir uns mit den Trainern und führen offene Dialoge mit ihnen. Innerhalb von Coaching und Scouting gibt es viel konstruktive Kritik, die sehr wichtig ist, um Leute wie Kamaldeen, Mohamed [Kudus] und Dio (Diomande) auf das Niveau zu bringen, auf dem sie sind.“
Die Schüler werden daher ermutigt, nicht nur darüber nachzudenken, was sie persönlich erreichen können, sondern auch darüber, was sie der Gesellschaft zurückgeben können.
Über einen Zeitraum von 20 Jahren hat Right to Dream ein regionales Netzwerk von über 1300 Amateurvereinen in Westafrika aufgebaut, das jedes Jahr als Scouting-Plattform dient.
Jährlich werden bei lokalen Trials ungefähr 25 000 zehnjährige Spieler unter die Lupe genommen, 14 bis 18 von ihnen dürfen pro Jahr schließlich an die Akademie.
In der Eingangshalle des Hauptgebäudes, die jedes Mitglied täglich mehrfach durchquert, hängt eine große Weltkarte mit den Fotos der Absolventen, die es nach Europa oder in die USA geschafft haben, sodass ein ständiger Motivationsanreiz präsent ist.
Chefscout ist seit 2021 der Südafrikaner Jeremy Seethal, der zwischendurch auch als Scout beim FCN tätig war.
Die Scouts sind auch nach der Aufnahme der jungen Spieler weiter ihre Bezugspersonen und dienen als Vorbilder. Einer der wichtigsten Mitarbeiter Seethals ist Derek Boateng, der 40 Länderspiele für Ghana absolvierte.
Vernons spezieller Anspruch ist es sozusagen, Afrika nach Europa zu bringen und nicht umgekehrt wie sonst.
Unter anderem zeigt sich das daran, dass Michael Essien seit zwei Jahren als Co-Trainer Mitglied des Trainerstabes beim FC Nordsjaelland ist, wovon die jungen afrikanischen Spieler in Dänemark profitieren.
(In Südafrika gibt es seit fast zehn Jahren ein ähnliches Projekt namens Ubuntu, das ebenso fußballerische Ausbildung und gesellschaftliches Engagement miteinander vereinen möchte. Inzwischen schaffen es auch hier erste Absolventen, einen Profi-Vertrag in Europa zu bekommen. Man versteht sich jedoch als Non-Profit-Nachwuchs-Akademie.)

Die Übernahme durch die Mansour Group:
Vor einem Jahr hat sich in Ghana eine neue Entwicklung ergeben, denn im Januar 2021 erhielten Vernon und Right to Dream mit einer Investition von rund 100 Millionen Pfund vom ägyptischen Konzern Mansour Group neue Unterstützung. Right to Dream hat infolgedessen gerade eine weitere Akademie in West-Kairo eröffnet.
Die Expansionspläne sollen hier nicht enden. Mit der Unterstützung der Mansour Group plant Vernon als nächstes den Kauf eines Clubs in England und verfolgt die Vision, weitere Right to Dream-Akademien auf der ganzen Welt zu gründen.
Vernon ist jetzt also nur noch Minderheitsaktionär, praktisch gehört der FC Nordsjaelland seit einem Jahr der Mansour Group. Dänemark ist offenbar, wie man beispielsweise auch am FC Midtjylland sieht, ein beliebter Zielort für Investoren.
Diese Entwicklung muss man kritisch sehen. Die Gefahr, dass die neuen ägyptischen Eigentümer sich nach ein paar Jahren aus Ghana und aus Farum verabschieden, ist durchaus vorhanden.
Die dänischen Vereine zeigen allerdings bisher, dass das Engagement von Investoren unter bestimmten Umständen durchaus positiv sein kann.
Für Kritiker ist Right do Dream so etwas wie Post-Kolonialismus mit menschlichem Angesicht. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Projekt auch wegen der Schulbildung, welche die Absolventen zusätzlich bekommen, und der damit verbundenen Chance, auf ein College zu gehen, aber wohl schon.
Langfristig muss es aus afrikanischer Perspektive das Ziel sein, die gut ausgebildeten Spieler im Land zu behalten, doch dafür müssen erst einmal die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Vereinsphilosophie und Spielstil des FC Nordsjaelland:
Und damit zurück nach Farum: Die äußerst positive sportliche Entwicklung des FC Nordsjaelland ist unter anderem Kasper Hjulmand zu verdanken, der inzwischen mit einigem Erfolg die dänische Nationalmannschaft trainiert.
Impulse für sein mutiges Vorhaben, mit einem jungen Team Offensivfußball zu spielen, holte er sich in Barcelona und bei Ajax Amsterdam.
La Masia, die berühmte Akademie des FC Barcelona ist in vielerlei Hinsicht Vorbild für das Nachwuchsleistungszentrum in Farum.
„Insight from the Outside“ nennt man dieses Ideen-Scouting in Farum. Immer wieder hospitieren Trainer aller Mannschaften, um sich fortzubilden, bei erfolgreichen ausländischen Vereinen, beispielsweise bei Norbert Elgert in Schalke oder bei Athletic Bilbao.
Für Besuche von Vertretern anderer Vereine ist man im Übrigen absolut offen. Einige deutsche Clubs haben diese Chance bereits wahrgenommen.
Der Austausch mit Ghana läuft in beide Richtungen: Dänische Nachwuchsspieler des FC Nordsjaelland wie zum Beispiel die U13-Mannschaft besuchen regelmäßig die Akademie in Dawu.
Nachwuchsarbeit und Trainerausbildung:
In einem längeren Interview für den Blog Itsjustasport.com des Nachwuchs-Trainers Daniel Garcia erläutert Fleming Pedersen, lange Zeit Nachwuchskoordinator, zwischendurch beim FC Brentford tätig und inzwischen Cheftrainer, den besonderen Ansatz der Ausbildung:
Man sei vor allem deshalb erfolgreich bei der Ausbildung junger Spieler, „weil wir ihnen nicht nur das Spielen beibringen, sondern wir haben es ihnen auch beizubringen, das Spiel zu verstehen. Deshalb geben wir den meisten unserer Spieler jetzt auch eine Trainerausbildung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der den meisten Vereinen fehlt.“ (…)
Er führt weiter aus: „In Nordsjælland haben wir die Entwicklung des Spiels analysiert, und wenn das Ziel unseres Vereins darin besteht, Spieler auf das höchstmögliche Niveau zu bringen, dann müssen wir ein Spiel spielen, wie sie es auf höchstem Niveau tun, zum Beispiel in der Champions-League.“
Daraus hat man einen ballbesitzorientierten offensiven Spielstil entwickelt und sich die fundamentale Frage gestellt, wie man Spieler in jedem Training dabei unterstützt, die dafür nötigen Fähigkeiten zu bekommen und beständig zu erweitern.
Pedersen geht dann ins Detail: „Also reduzieren wir einfach die Komplexität des Spiels und trainieren nicht alle möglichen Situationen im Training, sondern haben die wichtigsten Situationen zum Trainieren ausgewählt. Also machen wir das Spiel für unsere Spieler einfach. Und dann bauen wir wieder mehr Komplexität auf. Es hat also viel mit diesem Entscheidungsprozess zu tun. Fußballspielen ist ein ständiger Entscheidungsprozess. Je mehr Optionen Sie in jeder Situation haben, desto länger dauert Ihre Entscheidungsfindung. Also schränken wir die Optionen der Spieler ein, damit sie schnellere und bessere Entscheidungen treffen können.“
Deshalb schaffen die Trainer immer wieder neue spielähnliche Situationen, vor allem im Fünf gegen Fünf. Die Haupttätigkeit der Trainer besteht dann bei der Auswertung darin, den Spielern ein Feedback in Bezug auf ihre Absichten bzw. ihre Entscheidungsfindungen zu geben.
Voraussetzung dafür sind eine ständige Zusammenarbeit der Trainer, vor allem eine gemeinsame Reflexion der Trainingsinhalte und eine permanente interne Weiterbildung der Trainer. Bei den konkreten Trainingsinhalten haben die einzelnen Trainer jedoch relativ großen Spielraum.
Der ballbesitzorientierte Offensivstil wird dabei ständig im Detail weiterentwickelt. Grundlage für das tägliche Training ist ein „Lehrplan für alle unsere Altersgruppen und dieser Lehrplan besteht aus technisch/taktischen Teilen, die eher individuell ausgerichtet sind, dann gibt es Teile des Spielstils, dann gibt es mentale Teile und physische Teile. Alles muss in die Übungen integriert werden. (…) Ein weiterer Teil des Lehrplans ist die Kenntnis der Spielweise. Also, wie gesagt, wir entwickeln auch Trainer, während sie spielen. Sie haben also Spieltheorieunterricht und Analyseunterricht in unserem Spielstil.“
Vernon bestätigt diesen äußerst hohen Anspruch: „Wir haben eine Vision, wir möchten ein sich selbst organisierendes Team: Wir wollen nicht nur elf Spieler auf dem Platz, sondern elf Trainer.“
Als Konsequenz aus den beschränkten Möglichkeiten, die man als Vorstadtverein Kopenhagens besitzt, was das Reservoir an Nachwuchsspielern betrifft, legt man, so Pedersen, besonderen Wert darauf, die „Spieler im Kopf schneller zu machen. Deshalb ist das kognitive Training so wichtig.“
Garcia bewertet Pedersens Philosophie nicht zu Unrecht als revolutionär.
Ein weiteres Prinzip der erfolgreichen Jugendausbildung besteht darin, besonders talentierten jungen Spielern die Möglichkeit zu geben, einen Jahrgang zu überspringen und direkt von der U17 in die Herrenmannschaft hochgezogen zu werden. Auf diese Weise konnte man beispielsweise den norwegischen U-Nationalspieler Andreas Raedergard Schjelderup länger an den Verein binden, als man es für möglich gehalten hatte, da er schon mit fünfzehn Jahren Angebote aus halb Europa bekommen hatte.
Die Regionalisierung der Jugendarbeit, wie sie in ähnlicher Weise auch der FC Midtylland etabliert hat, funktioniert in der Region Hovedstaden folgendermaßen:
Das Netzwerk der acht kleineren Gründungsvereine wurde inzwischen erweitert, sodass in der eigenen Region kein halbwegs interessanter Nachwuchsspieler mehr übersehen werden kann, aber – so lange es geht – zuhause in seiner vertrauten Umgebung ausgebildet wird. Zum Mutter-Verein wechselt er, vorausgesetzt, die sportliche Entwicklung ist entsprechend, erst ziemlich spät. Den Jugend-Farmteams kommt dabei einiges von den Transfererlösen des FCN zugute, zudem erhalten sie regelmäßig Unterstützung, was Spielstil, Trainerausbildung und Trainingsinhalte betrifft.
Die jungen Spieler müssen also nicht lange Strecken zum Training fahren, das Training kommt zu ihnen in ihren Heimatort.
Auf Grund dieser Vorgehensweise ist der FC Nordsjaelland in der Umgebung bei Spielern, Eltern und Fans äußerst beliebt.
Trotz dieses erfolgreichen Konzeptes bleibt es allerdings nicht aus, dass immer wieder junge Spieler schon sehr früh von den Kopenhagener Vereinen oder beispielsweise von Ajax Amsterdam abgeworben werden. Meist lassen sich dadurch zwar wieder Transfererlöse generieren, sportlich aber kann man das wie oben erwähnt nicht immer sofort kompensieren. Dennoch hält man an diesem Konzept fest, weil die Vorteile die Nachteile bei weitem überwiegen.
Die sozialen Aktivitäten als wichtige Säule der Ausbildung: Common Goal:
Ein absolut entscheidender Bestandteil der gesamten Vereinsphilosophie und damit der Nachwuchsarbeit ist es, neben der fußballerischen Ausbildung die menschliche Seite, also den schulischen und sozialen Bereich, wesentlich stärker zu berücksichtigen als anderswo.
Diese Entwicklung der Spieler im menschlichen Bereich wird vor allem mit sozialen und karitativen Projekten geleistet, von denen Common Goal das wichtigste ist:
Bei Common Goal, ins Leben gerufen von Juan Matta 2017, engagieren sich weltweit Profi-Fußballer und Trainer, unter anderem Serge Gnabry, Jürgen Klopp, Max Eberl, Olaf Rose, Julian Nagelsmann, Mats Hummels, Shinji Kagawa, Giorgio Chiellini und Kasper Hjulmand mit einem Prozent ihres Jahreseinkommens.
2018 trat der gesamte Verein FC Nordsjaelland inklusive der Spieler und Betreuer Juan Matas Projekt bei. Ein Prozent des Stadionumsatzes spendet der Verein, über 50 Spieler und Betreuer steuern ein Prozent ihres Gehaltes bei.
Jedes Jahr nehmen die Vereins-Mitglieder an einer Abstimmung teil, um zu entscheiden, für welche drei Projekte ihr Geld verwendet wird, je nachdem, welche Projekte am ehesten mit der Arbeit und den Werten des Clubs übereinstimmen.
Common Goal ermutigt seine Spender, ihre ausgewählten Projekte zu besuchen und zu sehen, wie ihr Geld etwas bewirkt, und der FC Nordsjælland hat seitdem Jugendmannschaften zu Projekten in Afrika und Osteuropa geschickt, wo die jungen Spieler praktische Erfahrungen mit den „Rückgeben“ -Initiativen machen und an einem wechselseitigen kulturellen Austausch mit den Begünstigten teilnehmen. Aber auch vor Ort engagieren sich die Spieler sozial.
In einem Interview mit sky erklärt einer der Jugendtrainer des FCN die grundsätzliche Philosophie: “Es ist ein Projekt, das über das Spielen hinausgeht. Je mehr sich die Spieler außerhalb des Platzes engagieren, desto bessere Spieler werden sie. Wenn es jeden Tag nur um Fußball geht, dann fehlt uns etwas.”
Neben der Ausbildung in den Bereichen Fußball und Schule will man so den Charakter und vor allem das Verantwortungsbewusstsein der Spieler entwickeln. Einer Umfrage bei den Eltern der Nachwuchsspieler zufolge scheint dies sehr erfolgreich zu sein, da 80 Prozent angaben, sie hätten bei ihren Kindern eine positive charakterliche Entwicklung festgestellt.
Die Ziele sind ambitioniert, wie Kristensen im Sky-Interview betont: „Hoffentlich verlassen wir die Ära des hyperindividualistischen Fußballers. Viele der negativen Aspekte der sozialen Medien verstärken den Individualismus, aber sie können auch eine Plattform sein, um Ihre Ziele zu teilen. Wir haben Stellung bezogen zum Black History Month, zum Internationalen Frauentag und zu Common Goal. Es geht darum zu verstehen, dass man diese Plattformen nutzen kann, um nicht nur für sich selbst zu werben. Man kann für etwas mehr stehen.“
Jedes Kind der Right to Dream-Akademie in Ghana und jedes Kind der FCN-Akademie in Dänemark arbeitet an einem altersgerechten Rückgabeprojekt“, ergänzt Vernon. Ein Absolvent habe sogar eine Moschee in seinem Heimatort finanziert.
Zudem ist Gleichberechtigung ein wichtiges Thema: Sowohl in Ghana als auch in Dänemark gibt man inzwischen Mädchen und jungen Frauen die gleiche Chance auf eine gute Schulbildung und eine gute fußballerische Ausbildung.
Neben dem FCN sind als Vereine bisher drei kleinere und neuere Clubs Mitglied bei Common Goal geworden, die sich soziale Belange auf die Fahnen geschrieben haben: Unionista de Salamanca (dritte spanische Liga) Oakland Roots und Chicago House AC. Juan Matas Wunsch ist es jedoch, dass mehr Vereine Common Goal beitreten.

Mancher mag nun einwenden, dass Common Goal nur ein soziales Feigenblatt superreicher Profi-Fußballer sei, doch sowohl die gute Absicht als auch der positive Effekt einer solch globalen Organisation stehen wohl außer Frage.
Die positiven Auswirkungen sozialer und karitativer Aktivitäten auf die Entwicklung der Spieler als Menschen sieht man im Übrigen auch bei einer der erfolgreichsten Mannschaften der Welt überhaupt, der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft, allgemein bekannt als All Blacks, die den Wahlspruch „Better People are better All Blacks.“ lebt.
Im deutschen Fußball hat als erster Andreas Rettig in seiner Funktion als Manager bei Viktoria Köln einen sogenannten Sozialvorbehalt in alle Spieler-Verträge einbauen lassen, mit dem sie zu derartigen Aktivitäten geradezu verpflichtet werden.
Zusammenfassung:
Hohe Ziele, Impulse und Ideen von außerhalb nutzend, eine präzise Analyse der Möglichkeiten und Grenzen, die man in seiner Umgebung vorfindet, eine sich daraus entwickelnde eigenständige und mutige Vereinsphilosophie, eine daran anknüpfende Spielidee, die von der Profi-Mannschaft bis hinunter zu den Zehnjährigen trainiert und gelebt wird und die beständig weiterentwickelt wird von Trainerteams, die in enger Abstimmung gemeinsam arbeiten und die sich permanent weiterbilden, die besondere Bedeutung der charakterlichen Entwicklung der Nachwuchskicker vor allem über gemeinsames soziales Engagement bei Common Goal, kombiniert mit den in allen Belangen am besten ausgebildeten Nachwuchstalenten Afrikas – das sind die Elemente, mit denen man beim FC Nordsjaelland immer wieder kreative junge Spieler mit enorm viel Potential hervorbringt, die in ganz Europa begehrt sind, und mit denen man attraktiven und erfolgreichen Fußball bietet.
Schlussfolgerungen für Eintracht:
Die Regionalisierung der Jugendarbeit, die ganzheitliche Ausbildung der Nachwuchsspieler und die beständigen Trainer-Fortbildung kennen wir schon vom FC Midtylland.
Die Idee, regelmäßig Nachwuchs mit viel Potential, der bezahlbar ist, von anderen Kontinenten zu bekommen, wie es die beiden angesprochenen dänischen Vereine umsetzen, ist eine eher mittel- und langfristig anzusiedelnde Strategie.
Was das Scouting in Afrika betrifft, so hatte ich schon in meinem letzten Text hier vorgeschlagen, in Zukunft Kingsley Onuegbu dabei zu unterstützen, seinen Plan, eine Fußballschule in seiner nigeranischen Heimstadt Kaduna aufzubauen, wenn er seine Karriere in Asien beendet hat. Die Risiken, die damit zweifelsohne verbunden sind, wären es auf lange Sicht wert.
Denn Talent gibt es, wie in den ersten beiden „Tellerrand“-Texten gezeigt wird, buchstäblich überall, man muss es „nur“ entsprechend fördern und braucht dafür eine langfristige Strategie, dann wird man zehn Jahre später den entsprechenden Ertrag bekommen. „Excellence can be find anyway.“ heißt es daher auch im Manifest der Right-to-Dream-Academy.
Vor allem der soziale und karitative Ansatz, den der FC Nordsjaelland mit dem kollektiven Beitritt zu Common Goal auf eine neue Ebene gehoben hat, ist für Eintracht von Bedeutung und kann als Vorbild dienen.
Die naheliegende Idee wäre es, diesem Beispiel, wie es auch Juan Mata sich wünscht, zu folgen und als Verein inklusive Spielern, Trainern und Funktionären beizutreten.
Eine weitergehende Idee wäre es, sozusagen sein eigenes Ding zu machen und dafür die bereits vorhandenen Aktivitäten bei Eintracht zu nutzen und auf eine neue Ebene zu heben. Sowohl die Eintracht-Stiftung als auch Eintracht sozial, die Initiative der Fan-Abteilung, sind bereits in besonderem Maße tätig. Projekte wie die Unterstützung von Bedürftigen durch das jährliche Braunkohlessen der Stiftung oder die Kleidersammlung sind als Beispiele zu nennen.
Für dieses Projekt könnte man sich nach dem Motto „Bei Eintracht muss man mehr geben“ beispielsweise darauf einigen, 1,895 Prozent des jährlichen Netto-Einkommens als Spende der Stiftung und Eintracht sozial zukommen zu lassen. Deren Aktivitäten könnten so auf eine ganz neue Ebene angehoben werden.
Spieler und Verein müssten dabei vorangehen, Mitglieder und Fans könnten sich dem anschließen, sodass jeder im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten einen spürbaren, aber vertretbaren Anteil gemeinsam mit allen Mitgliedern der Eintracht-Familie dafür leistet, lokal, regional und möglicherweise auch global soziale und karitative oder ökologische Projekte zu unterstützen.
Den Spielern würde es in erster Linie überlassen sein, in Abstimmung mit der Stiftung und Eintracht-Sozial diese Projekte auszusuchen.
Konkrete Ideen könnten die Unterstützung der Braunschweiger Tafel als lokales oder Aufforstungs-Aktionen im Harz als regionales Projekt sein.
Gerade die Spieler würde man als Menschen voranbringen, denn durch dieses Projekt würden sie über den Tellerrand des Fußball-Profis hinausschauen und ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden.
Bei der praktischen Umsetzung wäre es sehr sinnvoll, wenn Spieler und Fans – gerade wegen der wechselseitigen Entfremdung, die man in den letzten Jahren, Monaten und Wochen beobachten muss – im Rahmen dieses Projektes zusammengebracht werden, indem beispielsweise einmal die Woche ein Spieler und ein Fan bzw. ein Mitglied zusammen einige Stunden bei der Tafel helfen.
Wenn alle – Spieler, Trainer, Betreuer, Präsidiumsmitglieder, Aufsichtsräte, Mitglieder und Fans – auf diese Weise gemeinsam etwas auf die Beine stellen, das sinnvoll und wirksam ist, dann würde dies den Zusammenhalt spürbar verstärken und gleichermaßen nach innen wie nach außen wirken, dann würde dies EINTRACHT in ganz besonderer Weise verdeutlichen und demonstrieren, dass der BTSV weitaus mehr als ein Fußball-Verein ist.
LINKS zu Webseiten und Videos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Region_Hovedstaden
https://de.wikipedia.org/wiki/Farum
https://www.goal.com/story/fc-nordsjaelland/index.html
https://11freunde.de/artikel/das-ue15-projekt/3870115
https://sustainabilityreport.com/2019/03/25/doing-things-differently-the-fc-nordsjaelland-story/ >
Reportage über Right to Dream: https://www.youtube.com/watch?v=SuNATfQ2yO4&t=21s
https://www.itsjustasport.com/home/2020/1/2/flemmingpedersen
https://www.common-goal.org/Impact
https://blog.innerdrive.co.uk/sports/new-zealand-winning-rugby-team-culture
https://www1.wdr.de/sport/fussball/dritte-liga/rettig-gemeinwohl-klausel-koeln-100.html
https://www.stiftung.eintracht.com/start/ https://eintracht-sozial.de/
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Interview mit Michael Essien https://www.youtube.com/watch?v=UBm9fZOeBao
Video der Right-to-Dream-Akademie https://www.youtube.com/watch?v=WyLUyNGE4wk
Juan Matta und FC Nordsjaelland zu Common Goal https://www.youtube.com/watch?v=zz8zJb2Q14Y
Right to Dream https://www.youtube.com/watch?v=0Xzv0-DePc4
Common Goal beim FCN https://vimeo.com/327033582?embedded=true&source=vimeo_logo&owner=55325826
Bericht über Right-to-Dream-Absolventen in den USA
Nachwuchsspielerinnen der Akademie
Right to Dream-Akademie:
Reportage über Right to Dream: https://www.youtube.com/watch?v=SuNATfQ2yO4&t=21s
Scouting:
Besuch des FCN-Nachwuchses in Ghana:
Right to Dream in Ägypten:
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