Wie viel Potenzial steckt in den Schiele-Löwen?
8 min readMoin Löwen!
Unsere Analyse zu Lion Lauberbach ist kontrovers diskutiert worden. Wir geben zu: Spieler einzuschätzen und ihr Potenzial zu ermitteln, sind alles andere als leichte Aufgaben – wir können uns der “Wahrheit” dabei nur aus einem bestimmten Blickwinkel annähern, erreichen wird man sie wohl nie. Als Eintracht Braunschweig–Fans haben wir immerhin das Glück, auf objektive Ratingdaten der Scoutingfirma Global Soccer Network zurückgreifen zu dürfen. Diese werden der Blau-Gelben Datenwelt zur Verfügung gestellt oder auf Twitter veröffenttlicht. Bei einer Ratingfirma, zu deren erlesenem Kundenkreis Clubs wie Athletico Madrid oder Manchester City gehören, ist dies alles andere als selbstverständlich. Weswegen wir GSN sehr dankbar sind!

Nun zum Thema: Wir wollen uns heute anschauen, wie es um das Entwicklungspotenzial der aktuellen Eintracht-Spieler bestellt ist und dabei eine kurze Einschätzung geben, an welchen Kickern wir festhalten würden und wer aus unserer Sicht vielleicht verzichtbar ist. Dazu möchten wir kurz auch die Winterneuzugänge unter die Lupe nehmen.
Ein kleiner Hinweis dazu: Die meisten Daten in diesem Beitrag stammen aus dem September 2021, also können sie sich seitdem ein wenig verändert haben!
Entwicklungspotenzial
Ein guter Spieler zu sein heißt nicht automatisch, besonders talentiert zu sein. Genauso wenig, wie es bedeutet, dass man als Talent mal ein guter Bundesligaspieler wird. Diese zwei Grundsätze sollte man bei unserer Analyse beachten. So kann es sein, dass Peter Vollmann gute Spieler verpflichtet, die aber wenig Luft nach oben haben. Oder umgekehrt.
Nun ergibt sich aus den Daten das Bild, dass die Eintracht-Neuzugänge in dieser Saison ein eher geringes Entwicklungspotenzial aufweisen. Spieler wie Henning, Krauße, Girth, Pena Zauner, Ihorst oder Multhaup sind schon relativ weit gereift. Das gilt auch für Lion Lauberbach, der sich allerdings noch weitaus mehr entwickeln könnte als viele der Neuzugänge. Doch dazu später mehr.

Erstmal müssen wir uns anschauen, wie man das Potenzial eines Spielers überhaupt einschätzen kann. GSN erklärt das so: “Die Potenzialberechnung setzt sich aus den Einschätzungen unserer Scouts und den Prognosealgorithmen unseres Systems zusammen. Jede fußballerische Eigenschaft wird dabei separat analysiert und es wird ermittelt, wie groß das Verbesserungspotenzial dieser einzelnen Eigenschaften ist. Dazu hat jede Position mit einem bestimmten Skillset auch einen Leistungspeak, der sich aus historischen Daten ermittelt.”
Ein Beispiel: Lauberbach wird nächste Woche 24 Jahre alt (schon mal herzliche Glückwünsche auf diesem Wege). Ein Stürmertyp, wie er einer ist, dürfte bald auf seinem Leistungszenit ankommen. Als “Zielspieler” har er seinen errechneten Leistungspeak mit 26,27 Jahren. Mit bald 24 Lenzen ist Lauberbach, laut GSN, damit dem Talentstatus bereits entwachsen. Den Daten zufolge sind es noch ca. 7% bis zu seinem Leistungspeak. Doch keine Bange: Die erfreuliche Nachricht ist, dass er diese optimale Entwicklungsstufe durchaus mehrere Jahre halten kann. Irgendwann kehrt sich das aber logischerweise wieder um, weil Fußballer nicht automatisch besser werden, je älter sie sind.
Außer man heißt Gigi Buffon und reift wie ein italienischer Wein. Doch hier sollte man darauf achten, dass der Leistungspeak auch von der Position eines Spielers abhängt.
Welche Klasse kann ein Spieler erreichen?
GSN ordnet die Spieler nach ihrem aktuellen Wert, auf dem sie derzeit performen und zusätzlich nach ihrem potenziellen Wert, auf den sie sich entwickeln können. Soll heißen: Ein hohes prozentuelles Entwicklungspotenzial bedeutet nicht automatisch, dass sich ein 3. Ligaspieler zum Bundesligaspieler mausern wird. GSN achtet bei den Daten sehr auf den Kontext. Also auf das Level, auf dem der Spieler aktuell performt. Spielt ein Spieler viele intelligente Pässe in der 3. Liga, heißt es noch lange nicht, dass er diese in der Zukunft auch in der 1. Liga abliefern kann. Auch sollte man die Daten immer in einen Kontext einordnen, wie zum Beispiel den Spielstil einer Mannschaft. Ist die eigene Elf eher defensiv eingestellt, ist es logisch, dass ein Innenverteidiger auch deutlich mehr defensive Kopfbälle bestreiten wird als er es in einem ballbesitzorienten Team tun würde. Darüber hinaus spielt auch die Position eines Spielers eine Rolle.
Gerade deswegen sind die objektiven Ratingdaten, die uns vorliegen, so spannend. Nehmen wir mal unseren Winterneuzugang Julian Bauer unter die Lupe. Laut GSN hat er einen aktuellen GSN-Index von 43,71 – was einem absoluten Durchschnitt in der 3. Liga enspricht. Sein Entwicklungspotenzial mit 22 Jahren ist noch relativ groß: ca. 12 %. Da er aktuell aber nur das Niveau eines 3. Ligakeepers hat, kann er demnach höchstens ein durchschnittlicher 2.Ligakeeper werden.

Unser zweiter Neuzugang, Jan-Hendrik Marx (26), hat es als Rechtsverteidiger noch schwerer. Seine Spieldaten zeigen, dass er durch seine Beidfüßigkeit nicht der Rolle eines klassischen Außenverteidigers entspricht (er zieht gerne mal nach Innen) und, dass er mit einem aktuellen GSN-Index von 48.47 einen Topwert für die 3. Liga erreicht. Der Haken ist sein kaum existierendes Entwicklungspotenzial. Für die 2. Liga wird es bei ihm woh eher nicht reichen.
Neben dem viel beschriebenen Potenzial braucht man eben, wie unser Neuzugang Fabrice Hartmann euch gleich beweisen wird, auch eine gewisses Ist-Niveau. Schauen wir uns nun an, wie der Entwicklungsstand des gesamten Kaders unserer Braunschweiger Eintracht aussieht.
Entwicklungspotenzial und Spielklasse
Hartmann ist laut GSN wohl unser bester Neuzugang. Sein aktueller GSN-Index liegt bei 59.76, sein möglicher GSN-Index wird auf 71.18 taxiert. Demnach haben wir also einen neuen Spieler in unseren Reihen, der direkt zweite Liga spielen und sich zudem sogar bis in die internationale Klasse vorkämpfen könnte. Mit seinem starken Antritt, Tempo und seiner Beweglichkeit wird dem 20-Jährigen Inversen Flügelstürmer eines Tages die UEFA Europa League durchaus zugetraut.
Nun, fällt euch bei den Beispielen Hartmann, Bauer und Marx was auf? Spoiler: Sie spiegeln gewisse Scouting-Stereotypen für Eintracht-Neuzugänge sehr gut wieder.
In unserer Kader-Analyse sehen wir vier Spielertypen: Hartmann und Sebastian Müller, die eigentlich Ausnahmetalente sind, führen eine Spielergruppe an, die man als Trainer gerne in seinem Kader sieht: Sie sind potenziell gute Spieler und können sich noch sehr weit entwickeln.
Die zweite Gruppe, auf die Michael Schiele zurückgreifen kann, sind Spieler wie Kobylanski oder Henning, deren Entwicklungskurven bereits ausgeschöpft sind, die auf dem Papier jedoch gute Kicker sind. Hier macht man als Scout wohl nicht viel falsch, sie als potenzielle Zugänge zu empfehlen. Es sind Spieler, bei denen das gute Niveau offenkundig ist.

Schwieriger wird es in der dritten Kategorie. Spieler, die derzeit nicht gut genug sind, um eine Klasse (oder Liga) höher zu spielen und die sich auch nicht mehr wirklich weiterentwickeln werden. Hier können wir Marx oder Pena Zauner einordnen. Für die 3. Liga reicht es aber durchaus.
Das größte Problem haben wir mit Talenten, die zwar noch einige Prozentpunkte an Potenzial mitbringen, deren Entwicklungskurve sie aber ziemlich sicher nicht in die Höhen der 2. Bundesliga führen wird. Bauer fällt leicht in diese Kategorie, Schulze Kökelsum und Kleeberg noch deutlicher. Auch Felix Stumpe gehört zu diesen Spielern, weswegen es wohl richtig war, ihn abzugeben.
Jungs wie Strompf, Otto, Bangsow und auch Lauberbach sind Grenzspieler, die man in seinem Kader auch in der 2. Liga als Ergänzungsspieler gebrauchen kann. Allerdings könnte man auf dem Markt qualitativ auch bessere Spieler finden und sie austauschen. Das gehört aber zu den eher unpopulären Maßnahmen in Braunschweig, wo Tradition und Identifikation sehr wichtige Faktoren sind. Generell sollte man dennoch in Betracht ziehen, Spieler auf ihrem Leistungspeak tendenziell lieber zu verkaufen als sie zu verpflichten. Auch, wenn wir es uns anders wünschen: Der Transfermarkt ist nun mal zu großen Teilen: ein Markt.
Genau hier liegt die Achillesferse des Scoutings unter Peter Vollmann. Holen wir Spieler an die Hamburger Straße, die noch einen ordentlichen Weg bis zu ihrem Leistungspeak vor sich haben und gleichzeitig die Qualität für einen Platz in der Startelf mitbringen, sind es in der Regel Leihspieler. Wie Hartmann, Müller oder Consbruch. Andere gute Kaderspieler wie Henning, Krauße und Girth sind bereits an ihrem Leistungspeak angekommen. Ihre weitere Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach in engen Grenzen halten. Bei einem möglichen Aufstieg wären Spieler wie Marx, Pena Zauner und Schultz wohl reine Ergänzungsspieler, die uns langfristig nicht weiterbringen. Eigene Talente wie Kleeberg, Stumpe und Schulze Kökelsum besitzen dagegen vermutlich nicht genug Potenzial für die 2. Liga. Mit dieser mauen Bilanz sollte man sich im Nachwuchsleistungszentrum aus unserer Sicht intensiv auseinandersetzen.
Hartmann, Müller und Consbruch sind allesamt gute Fußballer, die wir nicht nur ausleihen, sondern auch fest verpflichten sollten. Vor diesem Hintergrund bekommt man von offizieller Seite dann oft zu hören, wie schwierig der Markt derzeit sei. Das mag selbstverständlich der Fall sein! Aber: Genau deshalb sollte man sich nicht chancen- und tatenlos diesem Schicksal ergeben. So könne man die gesuchten Talente gezielt mit Hilfe vom Datenscouting auch im frühen Alter suchen und identifizieren. In den letzten Jahren sahen wir bei unserer Eintracht leider oft Transfers, deren Leistungsfähigkeit uns lediglich kurzfristig zur Verfügung stand – entweder, weil die Entwicklung bereits ihr Plateau erreichte oder sie durch ihre Leihe oder kurze Verträge nur für einige Monate den roten Löwen auf der Brust trugen.
Fazit
Unser Kader ist derzeit gut und breit genug aufgestellt, um in der 3. Liga oben mitzuhalten. Jedoch sollte man sich bemühen, Top-Talente wie Hartmann, Müller oder Consbruch langfristig an die Eintracht zu binden. Sollte dies nicht möglich sein, sollte man sich mit Hilfe von Datenscouting so früh wie möglich nach passenden Talenten anderswo umschauen.
Was sind GSN-Daten?
“Die GSN-Datenbank greift in seinen Analysen mittlerweile auf ungefähr 35 Milliarden einzelne Datenpunkte zurück. Grob zusammengefasst gibt es dabei vier Bereiche:
*Persönliche Basisdaten: Daten wie Größe, Gewicht oder Alter der Spieler werden erfasst.
*Scoutingdaten: Ein weltweites Scoutingnetzwerk liefert Einschätzungen zu ca.130 fussballspezifischen Eigenschaften (technisch, taktisch, physisch, mental) von Spielern.
*Performance-Daten: Jede Aktion jedes Spielers während eines Spiels wird erfasst – u.a. Pässe, Torschüsse, Sprints oder auch Fouls.
*Advanced analytics: Damit sind Datenmodelle gemeint, die auch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz berechnet werden. Diese Modelle sollen den “Performance-Daten” Kontext verleihen. Ein Beispiel ist der sogenannte “Action score”, bei dem berechnet wird, wie positiv oder negativ jede Aktion eines einzelnen Spielers für das jeweilige Team ist.”
Quelle: NDR
GSN-Index:
48 bis 53 = oberes Drittliganiveau
55 bis 58 = guter Durchschnitt in der 2.Liga
Das ist mal wieder ein toller Artikel. Ziel- und weiterführend für die Leser:innen und auch für den Verein (für den Fall, dass Dennis Kruppke mitliest).