Bias. Steht der Trainer zur Diskussion?
6 min readKognitiver Bias: Fehler bei der Informationsverarbeitung durch Rückgriff auf Urteilsfehler.
Moin Löwen!
Zeit, über den Trainer Michael Schiele zu reden. Ich denke, nach sieben Punkten in 12 Spielen ist einfach mal der Augenblick gekommen, um auch seine Arbeit zu reflektieren. Ich werde bewusst die Verletzungsmisere ignorieren und mich auf einige Punkte konzentrieren, die reine Trainerentscheidungen sind, wo am Ende der Trainer auch in der Verantwortung steht und ob seine Vertragsverlängerung doch zu früh kam.
Outcome bias – Die erfolgreiche Saison war keine
Michael Schiele wurde, natürlicherweise, wegen seinem Erfolg als Aufstiegstrainer gefeiert. Doch in Wahrheit kam der Aufstieg zu früh. In der „wahren Tabelle“ nach den erwarteten Punkten lag die Eintracht nur auf Platz 6: eine klare Überperformance, die in einem „low-scoring-game“ wie Fußball oft vorkommt, da Zufall eine große Rolle spielt. Da geht die Performance auch mal schnell in die andere Richtung, was man Regression zur Mitte nennt.
Das Hauptproblem ist dabei, dass wir den reinen Ergebnissen kurzfristig eine zu hohe Aussagekraft zuschreiben und die Entscheidungen des Trainers anhand der Ergebnisse bewerten, obwohl der Sport dies eigentlich nicht hergibt. In der Fachsprache nennt man dieses Phänomen Outcome Bias. Das Ergebnis entscheidet darüber, wie man die wahre Leistung beurteilt. Dieses wird besonders dann zum Verhängnis, wenn ein Team wie Eintracht in der Saison 2021/22 überdurchschnittlich viele Tore erzielt, für die Chancen, die sie hatten oder viele Gegentore verhindert, die man in der Regel kassiert.
Anfang der Saison zog Schiele an sich schon den richtigen Schlüssel und beurteilte, dass die 2. Liga viel spielstärker ist und dass man sich auch taktisch anders einrichten sollte. Dann trifft er aber die falsche Entscheidung, die eigentliche Stärken aus der letzten Saison, das Angriffspressing und den Tempofussball, sein zu lassen und aus der Eintracht eine Kontermannschaft zu formen, die in der Defensive passiv steht.
Jetzt, wo die Gegner sich darauf eingestellt haben, scheint ein Plan B zu fehlen. Jeder weiß mittlerweile, wie die Eintracht Fußball spielt. Wenn die Eintracht einen schlechten Tag hat, wird man schnell ratlos. Gegen den 1. FC Nürnberg war zu beobachten, wie nach vorne auch wegen langer Passwege die Präzision fehlte und offensiv wenige Aktionen zu Stande kamen. Man kann alte Teamstärken wie das Pressing nicht nutzen, weil man passiv agiert. Und Spieler wie Immanuel Pherai werden nicht ins Spiel eingebunden. Er hatte niemanden zum Kombinieren und wurde durch lange Bälle von seinem eigenen Team aus dem Spiel genommen.

Aktuell ist man dann auch wenig von seinem eigenen Outcome befangen. Nach den erwarteten Punkten sollten wir etwas besser in der Tabelle da stehen, unterperformen also ein wenig. Das sollte man der Mannschaft und dem Trainer auf den Weg geben: wir bleiben unter unseren Möglichkeiten und können auch besser. Der Glaube daran muss zurückkehren. Wenn der Trainer es nicht schafft, dann muss es ein anderer versuchen.
Confirmation bias – Man hätte schon am Anfang der Saison den Torwart wechseln sollen
Bei Gegentoren kommen wir zum zweiten bias, unter dem Schiele leidet. Ein Musterbeispiel ist die Kapitän und Torhüter-Frage. Keine Frage, Jasmin Fejzic hat eine überragende Saison 2021/22 gespielt. Er war fast alleine dafür verantwortlich, dass wir überdurchschnittlich wenig Gegentore kassiert haben. Hier handelte es sich aber nur um eine Momentaufnahme. Auch seine Sportleistungen regressieren zur Mitte.
Schiele hat aber diese Information ignoriert. In der Kognitionspsychologie spricht man von einer Neigung von Menschen Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen bestätigen. Dabei werden Infos ausgeblendet, die eigene Erwartungen widerlegen könnten, sodass man einer Selbsttäuschung oder einem Selbstbetrug erliegt. Genau das passiert gerade bei der TW-Frage.
Ich sagte im Interview in der Braunschweiger Zeitung am 5.9.2022, dass genau das einer der größten Fehler von Schiele ist. Laut Global Soccer Network hat Jasi diese Saison schon rechnerisch sechs Gegentore mehr, als zu erwarten war, zugelassen. Aber der Trainer hält an ihm fest, weil er diese Information ausblendet oder sogar unter Selbstbetrug leidet.
Dazu kommt, dass Jasi ein sehr passiver Torhüter ist. Auf der Bank hat man mit Ron-Thorben Hoffmann einen aktiveren Torhüter, der auch in der Vorwärtsbewegung mit dem Ball progressiver ist. Die aktuelle passive Abwehr könnte in dieser Hinsicht doppelt von so einem Torwart profitieren. Und das Hoffmann auch nach den Eigenschaften her besser veranlagt ist für die 2. Liga wissen wir. Ein Torwartwechsel wäre der richtige Schritt weg von Selbstbetrug.
Similitary bias – Spielertypen falsch eingeschätzt?
Als Trainer ist es logisch, dass man gewisse Spielertypen bevorzugt. Darüber sollte man sich im Klaren sein. Genau hier helfen Daten von Spielereigenschaften aber besonders, damit man Spieler nicht nur danach beurteilt, die einem selbst vom „Typ“ her gefallen. So sieht Schiele in gewissen Spielern wie Anton Donkor einen Spieler, der seine Idee vom Fußball mit schnellen Läufen nach vorne verkörpert und deswegen Vorrang hat.
Andere Spieler, die richtig eingesetzt einen super Fußball spielen könnten, werden nicht nach ihren Stärken eingesetzt, weil sie vom Typ her anders vorkommen. So können Nathan de Medina als aggressiver Balleroberer-Innenverteidiger oder Keita Endo als kreativer Achter oder Zehner gesehen werden. Endo scheint ein so ein Typ zu sein, ist er aber dennoch nicht und sollte nicht so eingesetzt werden. De Medina ist kein wirklicher Innenverteidiger und sollte auf dieser Position nur im Notfall spielen. Es wird dauerhaft an der Dreierkette festgehalten, obwohl die Spieler dafür fehlen.

Anchor bias – Auf Minus folgt Minus, auf Plus folgt Plus
Als Fans kennen wir das: Gewisse Spieler haben bei uns immer Bonuspunkte, egal wie sie performen. Andere Spieler können noch so treffen, sie sind für immer z. B. Mr. Chancentod für uns. Vielleicht können wir uns das als Fans leisten (auch wenn es nicht fair gegenüber den jeweiligen Spielern ist). Doch ein Trainer und sein Team sollten anhand von Fakten handeln. Gewisse Spieler sollten ihre Chance bekommen, auch wenn sie mal schlecht performt haben. Andere sollte man auf die Bank setzen, auch wenn sie mal gut performt haben, wenn es jetzt nicht funktioniert.

Beim Anchor-Bias geht es darum, dass die ersten Informationen oder Beobachtungen, die wir von einem Spieler erhalten, unseren ersten Eindruck des Akteurs bestimmen, sie setzten einen Anker. Von nun an tendieren wir dazu, uns bei der Bewertung eines Spielers an diesen Anker zu orientieren. Zusammen mit dem Confirmation bias ist dieses verheerend und führt zu falschen Entscheidungen wie im Fall von Jasmin Fejzic.
Was tun?
Nun, wie kann man gegen diese psychologischen Hindernisse arbeiten? Da kommen Daten genau richtig ins Spiel. Auch wenn Dateninterpretationen ebenfalls nicht frei von Bias sind, ist jedoch das Datenbasierende Arbeiten enorm wichtig. Hier wäre jetzt ein Schritt zurück und eine außenstehende Datenanalyse genau das richtige, gewisse Hindernisse im Kopf zu hinterfragen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Schiele sollte sich folgende Themen neu überlegen:
- Torhüterfrage. Die Daten sehen Hoffmann vorne.
- Teampressing. Jetzt läuft man die Spieler einzeln an, aber man gewinnt den Ball nicht oft. Auch die Pressinghöhe sollte man sich neu überlegen.
- Umschaltfussball. Wie kann man die Pässe besser an den Mann bringen und wie bringt man mehr Tempo im letzten Drittel rein?
- Positionsspiel, besonders im Aufbau und im letzten Drittel. Das war besonders in der ersten Hälfte gegen Nürnberg ein Problem
- Standards. Neue Abläufe bei Standards trainieren und Defensive-Standards üben, um mehr Sicherheit zu gewinnen.
- Gegenpressing. In der 3. Liga eine Stärke, jetzt in der 2. Liga nicht wirklich mehr vorhanden.
- Taktische Umstellungen. Jetzt ist man zu passiv. Wie könnte man aktiver als Mannschaft agieren und die Spieler zu ihren Stärken führen?
Credits u.a. an Flo Zenger, Falsefullback und NDR + Global Soccer Network.
Was kann man noch versuchen zu unternehmen? Dieses vermaladeite Verletzungspech hat uns auch zum Teil erst in diese bedrohlichere Lage wieder reingebracht.