Blau-Gelber Sportredakteur
10 min readHallo Lars, den meisten Eintracht-Fans sollte dein Name ein Begriff sein, zumindest, wenn sie die Braunschweiger Zeitung lesen. Denn dort gehörst du zu den Sportredakteuren, die über unsere Eintracht berichten. Wie bist du auf diesen Berufsweg gekommen und wie hat es dich zur Berichterstattung über die Eintracht verschlagen?
Hallo Kevin, zunächst einmal vielen Dank für die Einladung zum Gespräch. Ob mein Name wirklich den meisten Eintracht-Fans ein Begriff ist, weiß ich nicht. So lange, bin ich ja noch gar nicht dabei. Aber seit Mai 2018 und so richtig intensiv seit dem Frühjahr 2020 kümmere ich mich mit Daniel Mau und seit neuestem Leonard Hartmann um die Eintracht. Das macht meistens sehr viel Spaß. Und irgendwie habe ich mir damit auch schneller als erhofft einen Kindheitstraum erfüllt – den Berufswunsch Sportreporter dürfte ich in meiner Schulzeit ebenso häufig in die Anfang der 2000er angesagten Diddl-Freundschaftsbücher gekritzelt haben wie Fußball-Profi oder Hubschrauberpilot.
Wie wird man eigentlich Sportredakteur?
Ich denke, da gehört einfach eine ziemlich große Portion Leidenschaft dazu. Schon als Schüler und später als Student habe ich Spiel- und Vorberichte zu Bezirksliga-Spielen geschrieben. Da fängt man halt auch eher klein an und nicht gleich in der Bundesliga. Irgendwann kam nach einem Praktikum das Angebot von der Braunschweiger Zeitung, als Freier Mitarbeiter in Wolfsburg über die Bundesliga-Fußballerinnen und das Regionalliga-Team des VfL zu berichten. Das war für mich ein wichtiger Schritt, weil ich erstmals mit den Gegebenheiten des Profigeschäfts konfrontiert wurde und weil ich als sehr junger Mensch schon auf einem Level arbeiten durfte, auf dem man seine Fehler unmittelbar aufgezeigt bekommt. Von da aus ging es ins Volontariat – so blöd kann ich mich also nicht angestellt haben (lacht). Dort durchläuft man alle Ressorts. Bis heute gilt aber, dass man es sich explizit wünschen muss, im Sport eingesetzt zu werden. Stationen wie Politik, Kultur und das Lokale sind hingegen Pflicht. Ich habe dann immer wieder gedrängelt, dass ich dort Erfahrungen sammeln will, war relativ lange bei den Kollegen in Wolfsburg und Braunschweig eingesetzt und hatte am Ende auch ein bisschen Glück, das zum Ende meiner Ausbildung unser damaliger Chef in den Ruhestand ging und gleich meine Wunschstelle frei wurde.
Würdest du dich selbst als Eintracht-Fan bezeichnen?
Auf jeden Fall! Mein erster Stadionbesuch, an den ich mich bewusst erinnern kann, war im September 2001. Eintracht spielte mit Trainer Peter Vollmann gegen den KFC Uerdingen und gewann 1:0. Dirk de Wit traf, mein erster Lieblingsspieler war aber Jan Schanda. Das Spiel war natürlich ein perfekter Einstieg, zumal ich auch noch einen der Plastikbälle fing, die in der Halbzeit auf die Tribüne geschossen wurden. Über die Jahre habe ich dann nur wenige Spiele verpasst, saß erst mit meinem Vater auf der Gegengerade und stand später mit meinen Freunden in Block 7, ehe ich dann wieder auf einen Sitzplatz auf der Pressetribüne gewechselt bin.
Wie bewahrt man als Fan die kritische Distanz zur Eintracht?
Das finde ich gar nicht so schwer. Gerade weil ich die Gegebenheiten kenne, gehe ich oft strenger an die Sache als andere Kollegen. Und anderen Menschen gelingt es ja auch, Job und Privates zu trennen. Ich finde es mitunter furchtbar, wenn Reporter, die über die Gegner der Eintracht berichten, im Stadion jubelnd aufspringen und den Schiedsrichter bei Entscheidungen gegen Ihre Mannschaft durchbeleidigen. Das passiert leider ziemlich häufig. Meine Fan-Momente habe ich dann eher im Stillen – etwa zuletzt beim Spiel gegen den HSV zu Hause auf dem Sofa oder am vorletzten Spieltag, als ich etwas zu aufgekratzt das Spiel zwischen Viktoria Köln und Kaiserslautern verfolgt habe. Schwierig wird es eher, wenn sich die Wut einiger Internet-Fans gegen mich richtet. Der Blick in Foren und Social-Media-Kommentare gehört von Zeit zu Zeit zum Arbeitsalltag. Und Morddrohungen zu bekommen, oder (warum auch immer) mit führenden Nationalsozialisten aus dem 2. Weltkrieg verglichen zu werden, ist einfach beschissen. Andererseits betrachte ich meine Aufgabe, über die Eintracht zu schreiben, auch als unglaubliches Privileg. Erst am vergangenen Wochenende habe ich mit einem Kollegen vom Kicker telefoniert, der zu mir sagte: „Ey Lars, in meiner Stadt über meinen Verein zu berichten, war immer mein Traum.“ Und das ist es auch wirklich, auch wenn man sich manchmal in schwierigen Phasen daran erinnern muss. Ich bin erst 26 Jahre alt, meine Eltern und Freunde und gefühlt die Hälfte der Leute aus meinem Heimatdorf freuen sich, meine Texte zu lesen. Das ist auch ein Antrieb.
Was unterscheidet im Kern die professionelle Berichterstattung von den vielen Hobbyformaten im Fußball?
Fan-Formate sind häufig mehr „auf die Zwölf“, was ich auch gut finde. Engagement, Aufwand, Leidenschaft. All das steckt in Eurem Blog oder den Podcasts, und das finde ich bemerkenswert. Besonders die Spezialserien des Gegengerade-Podcasts sind mit einer unglaublichen Akribie und Sorgfalt produziert, an die auch unser „Löwengebrüll“ nicht heranreicht. Das bedient natürlich eine andere Nische, wird aber vermutlich auch in kürzerer Zeit produziert. Wie viele Stunden unentgeltlich in Eure Projekte fließen, will ich mir beinahe gar nicht ausmalen. Außerdem könnt Ihr manchmal härter sein als wir, weil Peter Vollmann und Michael Schiele sich vermutlich nicht bei Euch melden, wenn Ihr sie kritisiert. Wobei Torsten Lieberknecht ja mal einen unserer Leserbriefschreiber ausfindig gemacht hat, um ihm zu erklären, warum Daniel Davari ein super Bundesliga-Torhüter ist. Allerdings glaube ich auch, dass wir für die Fans auch wichtig sind, um ein klareres Bild von vielen Situationen zu bekommen. Wir lassen die Verantwortlichen sprechen, ordnen ein, zeigen Hintergründe auf und kommentieren. Dafür ist ein dauerhafter Austausch mit den Verantwortlichen wichtig. Der sorgt aber auch dafür, dass wir bei unserer Kritik eher analytisch als emotional agieren, was bei einigen Lesern oft mit fehlender Härte gleichgesetzt wird. Aber diese Frage und die mit der Distanz bieten eigentlich allein Stoff für ein mehrstündiges Gespräch.
Was bedeutet Eintracht Braunschweig für dich?
Immer noch sehr viel, wobei die Liebe zum Klub durch meinen Weg hin zum Sportreporter natürlich gelitten hat. Wenn man sein Hobby zum Beruf macht, hat man irgendwann kein Hobby mehr. Und den sprichwörtlichen Schmutz des Profifußballs, der ja oft ganz alltäglich ist und überall anderswo auch vorkommt, unmittelbar bei seinem Verein mitzubekommen, sorgt auch dafür, dass sich die Leidenschaft ein bisschen abkühlt. Der Umgang während der Arbeit wiederum passt mit den Mitarbeitern des Vereins aber.
Wie viele Auf- und Abstiege hast du bisher miterlebt?
Wenn ich mich nicht verzählt habe: Sechs Aufstiege und fünf Abstiege.
Was war dein erstes Spiel im Stadion, welches dein letztes?
Über mein erstes Spiel habe ich ja schon ausführlich berichtet. Das bislang letzte im Stadion war der wichtige Sieg über den 1. FC Magdeburg. Und dieses Spiel ist eigentlich auch der Prototyp für die Heimspiele, die ich liebe: Freitagabend, Flutlicht, Emotionen und drei Punkte.

Hast du einen Lieblingsspieler im aktuellen Kader, vielleicht einer, der ein guter Interviewpartner ist?
Ich glaube, es wäre meiner Credibility bei der Mannschaft nicht unbedingt zuträglich, wenn ich hier einen Spieler herausheben würde. Aber Lion Lauberbach sehe ich unglaublich gern zu, weil er einen zeitlosen Fußball spielt. Jasmin Fejzic, Yari Otto, Robin Krauße oder Brian Behrendt sind gute Interviewpartner, weil sie ohne großes Nachbohren gehaltvolle Sachen sagen. Niko Kijewski und Fabio Kaufmann fallen durch ihre Herzlichkeit auf. Und Danilo Wiebe mag ich, weil er auf dem Feld und im Gespräch mit sehr viel Klarheit agiert. Aber alles in allem hat Eintracht eine sehr umgängliche Mannschaft, bei der keiner als Stinkstiefel abfällt.
Was war dein schönster blau-gelber Moment?
Klar könnte ich jetzt den ein oder anderen Aufstieg aufzählen, aber meine Highlights waren irgendwie immer die Pokalspiele – die Siege gegen Kaiserslautern und Hannover 2003, gegen Hertha 2004 oder Dortmund 2005 sind für mich Höhepunkte. Da wären wir wieder beim Thema Flutlicht.
Was war dein traurigster/schlimmster blau-gelber Moment?
Ganz klar die Zeit zwischen 2018 und 2021. Eintracht hat in dieser Zeit viel davon verloren, was sie die Jahre zuvor ausgezeichnet hat. Nicht für alles kann man den Einen oder den Anderen unmittelbar verantwortlich machen, aber ich vermute, es braucht noch Zeit und gemeinsame Positiv-Erlebnisse, um wieder das gemeinsam auszustrahlen, was in der Republik gemeinhin mit der Eintracht assoziiert wird.
Wie sieht für dich ein Arbeitsalltag am Spieltag aus?
Ich bin gerne eine Stunde vor Anpfiff im Stadion, um in Ruhe meinen Arbeitsplatz einzurichten und noch ein paar Gespräche zu führen. Wenn das Spiel läuft, verfolge ich die erste Halbzeit und schreibe in der Pause die Eindrücke auf. Während der Pandemie durfte häufig nur ein Reporter pro Medium ins Stadion. Das hat die Berichterstattung deutlich erschwert, weil man in Durchgang 2 das Spiel schauen und schreiben muss, damit quasi mit Abpfiff der Text online geht und bei Abendspielen in die Ausgabe kommt. Das zweite Paar Augen fehlte aber. Das ist dann häufig ganz schön stressig. Mit Abpfiff klappe ich den Laptop zu, renne nach unten und führe die Interviews. Anschließend ist die Pressekonferenz, nach der sich der Trainer häufig noch Zeit nimmt, unsere Fragen zu beantworten. Denn so schön das unmittelbare Onlinestellen der PK auf Youtube für die Fans ist, so blöd ist es für uns. In der PK wird nicht immer Gehaltvolles gefragt, weil man seine Recherche-Ansätze ja gern dafür nutzen will, dass die Leute Zeitung lesen und nicht schon alles aus dem frei zugänglichen Video erfahren. Im Anschluss an die PK geht es dann ins Büro oder bei Auswärtsspielen in den Zug. Von dort aus entsteht unser E-Paper für den Sonntag und weitere Texte wie die Einzelkritik. Gegen 22 Uhr endet so ein Arbeitstag, wenn alles glatt läuft.
Die Anforderungen an Sportberichterstattungen werden immer höher: Bekommt man als Sportredakteur eigentlich eine Taktikschulung?
Das meiste erarbeitet man sich im Austausch mit Trainern, Kollegen, Spielerberatern oder per Video-Studium. Ein gewisses Fußball-Verständnis bringt man vermutlich von vornherein mit, wenn man diesen Beruf wählt. Sei es, weil man selbst gekickt hat, stundenlang Fußball-Manager gedaddelt hat, oder eine Mannschaft trainiert hat. Das alles macht einen noch nicht zum Spiel-Analysten, aber es gibt dir ein Gefühl für das, was auf dem Platz passiert. Es gibt aber zum Teil auch Schulungen mit Trainern oder auch Schiedsrichtern, von denen Journalisten lernen können.
Neben den Erwartungen an eine umfassende Berichterstattung sind auch die Möglichkeiten in der Analyse deutlich umfassender geworden. Ist es für dich oder deine Kollegen in der Zukunft möglich, moderne Spieldaten zur Analyse zu benutzen, wie es nun auch Sky und Co machen?
Das wäre auf jeden Fall mein Wunsch. In der 3. Liga gab es kaum öffentlich zugängliche Daten. Die Suche nach einem passenden Anbieter, der ja von einem Medienunternehmen auch fair bezahlt werden will, treibt mich schon länger um. Aber unterm Strich müssen wir auch schauen, ob sich die Aufbereitung von Daten bei uns in Klickzahlen, Abo-Abschlüssen und Zeitungsverkäufen niederschlägt. Ausprobieren möchte ich das aber auf jeden Fall demnächst.
Was ist dein liebster Fangesang?
Mir gefällt neben den Klassikern „(…) Alle singen deine Lieder / Auch wenn wir mal am Boden sind, stehen wir auf und kommen wieder“ ganz gut. Ich mag es, wenn bekannte Melodien für Kurvengesänge genutzt werden. Und in dem Fall hat es meiner Ansicht nach auch eine gewisse Komik, wenn Gruppierungen, die sich sonst sehr, sehr ernst nehmen, Schlagerlieder trällern – noch dazu Solche, die die eigenen Eltern wahrscheinlich schon angestaubt fanden. Lena Valaitis mit „Johnny Blue“ verorte ich dann doch eher bei NDR1 und nicht im Stadion – aber am Ende geht es ja doch ins Ohr.
Was gefällt dir am Fußball und was stört dich am Fußball?
Auch das ist eine Kehrseite des Berufs – man beschäftigt sich den ganzen Tag mit dem Fußball und hat nach Feierabend keine Lust mehr, Spiele anzuschauen. Die Europa-League-Saison der Frankfurter habe ich ein bisschen verfolgt, aber eigentlich packt mich fast nur noch Eintracht. Nicht die Bundesliga, nicht die Nationalmannschaft und schon gar nicht die Champions League. Es ist einfach zu viel Fußball, zu viel Belangloses und die späten Anstoßzeiten sind auch nicht gerade fan-freundlich.
Was gefällt dir an der Stadt Braunschweig besonders, hast du einen Lieblingsort? Eintracht-Stadion zählt nicht!
Braunschweig ist sehr lebenswert und hat eine gute Größe – aber das erzählt einem ja eigentlich jeder. Wenn es kühler wird, laufe ich gern mal um den Südsee. Ansonsten ist mir der Ort nicht so wichtig, sondern, dass ich meine Freunde und meine Familie sehe, wenn ich mal zur gleichen Zeit frei habe wie sie. Das ist als Sportredakteur auch nicht so häufig der Fall. Aber wenn, dann zieht es mich auch raus – gern in eine ehrliche Kneipe.
An welches Fußballspiel erinnerst du dich besonders gerne?
WM 2002, Deutschland gegen Saudi-Arabien. Ich fand diese ganze Kaiserslautern-Sache zwar schon immer eigenartig, aber Miro Klose habe ich während seiner gesamten Karriere gern spielen sehen. Damals saß ich mit meinen besten Freunden in der Werkstatt ihres Onkels. Die Männer auf großen, wir auf kleinen Gartenstühlen. Es gab Cola aus der Glasflasche und acht Tore – was will man als Sechsjähriger mehr?
Was sind deine Blau-Gelben Wünsche für die Zukunft?
Die Eintracht darf liebend gerne ein solider Zweitligist werden, auch mal aus einer ruhigen Tabellensituation im Vorgriff auf die nächste Spielzeit Personalentscheidungen treffen und einen Fußball spielen, der aufopferungsvoll und mitreißend ist. Ich glaube, das würde auch dafür sorgen, dass nicht immer sofort Panik entsteht, wenn die Ergebnisse kurzzeitig nicht stimmen.
Möchtest du sonst noch etwas loswerden?
Ja, sehr gerne. Durch die Corona-Pandemie ist der Austausch im Stadion auf der Strecke geblieben. Deswegen würde ich mir wünschen, dass Jeder, der mit meiner oder unserer Berichterstattung nicht zufrieden ist, den Austausch sucht. Das Hofberichterstatter-Narrativ, das gern bedient wird, wenn über uns gesprochen wird, wirkt häufig wie der einfachste Weg, gegenteilige Meinungen wegzuwischen. Deswegen bin ich gern auf Twitter (@larsruecker) oder per Mail ansprechbar, um auch Eintracht-Fans die Gelegenheit zu geben, ihre regionale Zeitung thematisch mitzugestalten.
Vielen Dank für deine Zeit!
Bis Dahin
Euer Kivi