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Ivanov der Große

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Hallo Löwen!

Heute ein etwas anderer Bericht. Eine Analyse über Robert Ivanov, die auch etwas Persönliches beinhalten wird. Aber die Geschichte von Robert ist eine außergewöhnliche Story, die man erzählen muss, um den Fußballspieler auf dem Spielfeld wirklich zu würdigen. Deswegen ist die heutige Analyse in zwei Teile geteilt: der Mensch Ivanov und der Fußballer Ivanov.

Ivanov, der Große. Bild: Kivi.

Mensch Ivanov

Roba wurde erst spät als Fußballer entdeckt. Er dümpelte irgendwo in der dritten finnischen Liga herum, trainierte nicht besonders intensiv und wurde auch nicht sonderlich gefördert. Heute ist der erfahrene, 197 cm große Abwehrhüne mit 29 Jahren Stammspieler in der finnischen Nationalmannschaft und bei den Blau-Gelben als feste Größe in der Dreierkette bekannt. Leider platzte sein EM-Traum und der einer ganzen nordischen Nation im Halbfinale der Qualifikation gegen Wales. Sonst wäre er wohl bei der EM im Sommer in Deutschland mit Finnland in der Startelf aufgelaufen.

Ob und wie es mit ihm in der Nationalmannschaft weitergeht, ist derzeit noch etwas unklar. Ivanov wird in diesem Jahr 30 und wäre bei der nächsten Europameisterschaft in vier Jahren 34 Jahre jung. In der Nationalelf könnte es für ihn eng werden, wenn zum Beispiel ein neuer Trainer die Aufgaben von Markku Kanerva übernehmen sollte. Auch bei der Eintracht ist seine Zukunft zumindest so lange offen, bis der Klassenerhalt gesichert ist. Leider kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich ein Nationalstammspieler die 3. Liga antun würde. Es bleibt zu hoffen, dass nach dem geplatzten EM-Traum die Reise mit der Eintracht nicht schon im Sommer endet.

Wie auch immer die gemeinsame Geschichte enden wird, um Ivanovs Zukunft mache ich mir wenig Sorgen. Sein privater und beruflicher Werdegang ist voller Schwierigkeiten und ein Lebensweg, mit dem man sich leicht identifizieren kann. Aufgewachsen im Osten Helsinkis, hatte „Roba“ schon früh mit zahlreichen Widrigkeiten zu kämpfen. Zum Beispiel hatte er als Russischsprachiger mit Vorurteilen fertig zu werden. (Dazu hat er Verwandte in der Ukraine, was ihm garantiert auch betrifft). Besonders schlimm muss für ihn vermutlich die Situation mit seinem Vater gewesen sein. Vladimir Ivanov war laut Medienberichten ein Alkoholiker, der auch kurze Zeiten hinter Gittern verbringen musste. Trotzdem soll das Verhältnis zwischen den beiden sehr liebevoll gewesen sein. Leider starb der Vater kurz bevor Robert seinen Wehrdienst ableisten sollte.

Sowohl sportlich als auch menschlich wurde Robert von seiner Mutter stark geprägt. Nelli Pakki, eine Ingermanländerin, die 1990 nach Finnland zog, spielte Handball und gewann als Spielerin sogar die finnische Meisterschaft. Auch seine Geschwister übten viele Sportarten aus. Sein Halbbruder spielte Basketball und seine Halbschwester Handball. Sport sei in der Familie wie eine Religion gewesen, schrieb Helsingin Sanomat 2021 über die Ivanovs. Robert selbst spielte sehr früh Fußball, aber auch andere Sportarten wie Basketball oder Eishockey gehörten zu seinem Repertoire. Kurios: Es ist fast schade, dass Robert nicht den Nachnamen seiner Mutter trägt, denn „Pakki“ bedeutet im Finnischen so viel wie Abwehrspieler (im Englischen z.B. „full-back“ oder „center-back“). Aber auch so macht Robert diesem Namen alle Ehre.

Mit der Familie kamen also gute sportliche Voraussetzungen. Dabei wurde er als jugendlicher schon von Helsinki HJK ausgemustert, weil seine Grösse und Körperlichkeit laut einiger damaliger Trainern nicht eines Fußballer entsprachen. Auch die Gesundheit machte im Probleme. Seit seinem 10-Lebensjahr wurde bei ihm Zöliakie diagnostiziert und er musste darauf achten, wie und was er isst, was als jugendlicher nicht immer gut funktionierte. Seine Mutter erinnert sich, dass Robert oft müde war und Schwierigkeiten hatte zu trainieren.

Die Ausmusterung hatte aber auch was gutes. Seine fußballerische Jugend verbrachte Roba mit Freunden in verschiedenen Jugendmannschaft. Es ging um Spass und um das Spiel, nicht um Fussball als Leistungssport. Seine Fussball-Lehrerin Jutta Rautiainen von der sportorientierten Schule von Herttoniemi nahm ein paar Jugendliche und Ivanov unter ihren Flügeln und bot ihnen Extratraining an, was Robert eine gute Technik und Selbstbewusstsein gab.

Erst mit 18 Jahren fand er das letzte Puzzleteil, als er endlich einen Trainer fand, der sein Talent erkannte. Der Viertligist FC Myllypuro aus dem Osten Helsinkis wurde damals vom ehemaligen russischen Jugendnationaltrainer Ravil Sabitov trainiert. Sabitov sagte Robert, dass er Fußballprofi werden könne. Von da an fungierte Ivanov als Dolmetscher des Trainers und auch als Mannschaftskapitän. Vielleicht sind es diese Erfahrungen, die Robert in einem Video der finnischen Nationalmannschaft sagen ließen, er könne sich vorstellen, nach seiner Karriere Trainer zu werden. Seine Mutter hielt Sabitov auf alle Fälle für einen „Sechser im Lotto“. So oder so, Robert schaffte es später in die erste Mannschaft des Espoo FC Honka und war maßgeblich daran beteiligt, dass Honka zwischen 2016 und 2018 von der dritten in die erste Liga durchmarschierte.

Nach starken Auftritten des damals 23-Jährigen in der ersten finnischen Liga, der Veikkausliiga, folgte ein Jahr später die Berufung in die Nationalmannschaft. Er und seine Familie konnten es kaum glauben. „Ich habe meine Mutter angerufen und ich denke, sie hat (vor Freude) geweint. Es war ein unglaubliches Gefühl.“ Ivanov selbst sagt oft, dass er mit seinem Beispiel gezeigt hat, dass auch andere Wege zum Erfolg führen können. Roba wurde später sogar für die EM2020 (2021) nominiert, spielte jedoch leider keine Minute, als Finnland in der Vorrunde ausschied.

Ivanov 2019 als Spieler beim FC Honka. Hier bei einer gegnerischen Ecke (die Nr. 4) im Spiel gegen Rovaniemen Palloseura RoPS. Video: Rode

Ivanovs sportliche Karriere ist etwas ganz Besonderes. Sie lehrt uns, dass Profispieler Menschen sind, die mit alltäglichen Problemen zu kämpfen haben und oft die richtigen Fürsprecher brauchen. Die Story verdeutlicht auch, dass es nicht nur einen Weg gibt, um Profi zu werden. Für mich ist die Geschichte schon deshalb besonders, weil ich im Osten von Helsinki wohne, wo Roba früher gespielt hat, er jetzt für meinen Herzensverein spielt und mein Heimatland als Nationalspieler vertritt. Dank ihm ist auch Braunschweig endlich auf der Finnischen Fußball-Landkarte aufgetaucht.

Geschafft. Robert bei der Nationalmannschaft „Huuhkajat“, die „Uhus“. Hier im Sommer im Spiel gg. Slowenien. Er wurde gerade als neuer Transfer bei der Eintracht verkündigt. Bild: Rode

Fußballer Ivanov

Als Robert im vergangenen Sommer von der Eintracht verpflichtet wurde, schrieb das Ratingunternehmen Global Soccer Network über ihn, er sei ein solider Spieler für die 2. Liga. Nun, diese Aussage kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten. Zum einen hat die Eintracht mit Roba einen gestandenen Zweitligaspieler, der auch über internationale Erfahrung verfügt. Er hat noch einige gute Jahre vor sich und man kann von ihm eine solide Leistung in der zweithöchsten Spielklasse erwarten. Zum anderen: Sollte er wechseln wollen, könnte er sogar für andere Vereine auf gleichem Niveau interessant werden und Ablöse generieren. Immerhin hat Ivanov 28 Länderspiele auf dem Konto und ist Stammspieler in der 2. Liga.

Dreht man die Aussage um, könnte es sein, dass Robert jetzt auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen ist. Er flog lange Zeit unter dem Radar und dann ging es steil bergauf. Vor allem in Finnland ließt man in den Foren und in der Presse viel darüber, wohin die Reise als nächstes geht. Vielleicht könnte Roba ja auch ein Bundesligaspieler werden? Er selbst wurde schon oft darauf angesprochen: „Träume muss man haben, aber jetzt konzentriere ich mich erstmal auf meine Aufgaben in Braunschweig“, sagte der Abwehrspieler nach dem Länderspiel gegen Dänemark im September.

Dieser Wunsch nach einem Spieler, der in der Bundesliga spielt, ist aus finnischer Sicht verständlich. Bei der aktuellen Nationalmannschaft fällt auf, wie wenige Spieler in den Top-5-Ligen Europas spielen, was in den letzten Tagen nach dem Ausscheiden gegen Wales auch zu Analysen und Diskussionen geführt hat. Genauer gesagt gibt es nur zwei Nationalspieler in den Top-5-Ligen, beide in der Bundesliga: Torwart Lukas Hradecky bei Bayer Leverkusen und Mittelfeldspieler Fredrik Jensen beim FC Augsburg.

Bei Ivanov ist es gut möglich, dass er sogar in der Bundesliga eine Chance bekommt. Ob man ihm damit aber wirklich einen Gefallen tun würde, bleibt offen. Generell denke ich, dass nach den Scoutingbeobachtungen und den Daten von GSN klar ist, dass das aktuelle Spielniveau der 2. Bundesliga Roba entgegenkommt, aber auch seinem Karrierehöhepunkt entsprechen dürfte.

Ivanov bei einem Kopfball im Testspiel gg. Rot-Weiss Essen. Bild: Kivi.

Ich denke, mein persönlicher Traum ist klar. Ich würde mir nichts mehr wünschen als noch ein paar weitere Jahre mit Eintracht in der 2. Liga und Ivanov in der Abwehr. Doch der Reihe nach. Schauen wir uns den Fußballer Robert Ivanov genauer an. Wo liegen seine Stärken, wo seine Schwächen?

Ein natürlicher Vorteil von Roba ist seine Körperlichkeit und vor allem, dass er als Spielertyp perfekt in die Defensive der Eintracht passt. Laut GSN verfügt er über ein starkes Kopfballspiel und ein gutes Timing im Tackling, was der Spielweise des BTSV entgegenkommt. Sein defensives Stellungsspiel ist für die Liga überdurchschnittlich und sein taktisches Verhalten gut. In dieser Saison hat er unter den Innenverteidigern der Liga TOP 10 -Werte gerade im Bereich des Abfangens gegnerischer Bälle oder bei Balleroberungen. Auch allgemein bei den Defensivaktionen ist Ivanov unter den Top 10. Hier sieht man einen Spielertyp „Balleroberer“ in seinem Element: Bälle abfangen und erobern. Nicht ganz unter den Top10, aber immer noch sehr gut in der Liga, sind Robas Defensivaktionen wie geblockte Schüsse und Pressing bzw. Gegenpressingaktionen.

Aber seine Stärken liegen nicht nur in der defensiven Arbeit. Ich bin froh, dass er mit dem Ball umgehen kann. Von seinen Eigenschaften her hält er sein Spiel mit dem Ball einfach, was auch zur direkten Spielweise der Eintracht passt. Wenn es darum geht, Pässe in die Tiefe zu spielen, macht Ivanov seine Sache ordentlich, auch wenn er hier seine Erfolgsquote noch verbessern könnte. Sein zweiter und dritter Assist, also seine Rolle bei der Einleitung von Spielzügen, die zu Toren führen, ist ebenfalls unter den TOP 10 der Liga. Besonders erfreulich sind auch seine 0,18 Schlüsselpässe pro 90 Minuten (Top 6), was für seine gute taktische Übersicht spricht. Auch seine progressiven Läufe mit dem Ball sind eine häufig zu beobachtende Aktion im Braunschweiger Spiel.

Natürlich hat Ivanov auch Schwächen. Diese liegen laut GSN vor allem in der Ballverarbeitung und im Offensivspiel ohne Ball. Zur Erklärung: Ballverarbeitung bedeutet, wie schnell und wie gut der Spieler einen Pass, eine Flanke oder einen hohen Ball so kontrollieren kann, dass er das Spiel möglichst schnell und kontrolliert fortsetzen kann. Das Spiel ohne Ball hingegen bezieht sich auf das Freilaufverhalten des Spielers, wie z.B. das Starten in die freien Räume, das Finden der richtigen Räume und das Entgegenkommen bei einem Pass. Trotz einiger sehr guter Passaktionen ist sein allgemeines Passspiel verbesserungswürdig. Auch seine Schnelligkeit und Beweglichkeit sind ausbaufähig.

TOP 5 Stats von Ivanov (Wert pro 90 Min)Platzierung in der Liga unter IVs
Bälle abgefangen in der gegnerischen Hälfte (0,73)1.
Eigentore (0)1.
Einwürfe (100 %)1.
Pässe abgefangen (4,93)3.
Bälle abgefangen (6,89)4.
2. Bundesliga 2023/24. Quelle: Global Soccer Network.

Die Statistiken zeigen, dass Ivanov gerade im Bereich des Passspiels Probleme hat, mit den anderen Innenverteidigern in der Liga mitzuhalten. Wenn es um erfolgreiche Pässe oder sein offensives Passspiel geht, ist seine Erfolgsquote nicht vielversprechend. Dies steht im Widerspruch zu seinen TOP-10-Pässen. Die Erklärung ist einfach: Er spielt hier wie die gesamte Eintracht mit viel Risiko. Am besten funktionieren bei ihm die Schnittstellenpässe, hier hat er eine gute Übersicht. Probleme hat er dagegen vor allem im Spielaufbau. Hier macht sich seine fehlende Qualität in der Spieleröffnung bemerkbar. Egal ob es sich um Pässe nach vorne oder zur Seite handelt, hier muss sich sein Passspiel verbessern. Auch Ballorientiert/BZ merkte das in ihrer Analyse an: „Den Spielaufbau lenken die Gegner häufig auf Ivanov, der dies zwar zu einigen Ausflügen in Richtung Offensive nutzt, aber zugleich die mit Abstand schwächste Passquote der drei Braunschweiger Innenverteidiger verzeichnet.“

Leider führt dies bei Ivanov sehr oft zu gefährlichen Ballverlusten. Bei den Fehlern, die zu Gegentoren führten, liegt er mit 0,14 pro 90 auf Platz 61 der Liga. Eine Quote, an der es zu arbeiten gilt. Unnötige oder gefährliche Ballverluste in der eigenen Hälfte sind bei Robert leider keine Seltenheit. Vielleicht sollte sich Ivanov im Passspiel mehr auf kurze, einfache Pässe konzentrieren oder alternativ den Ball lang spielen. Denn seine langen Bälle sind in der Statistik ganz ordentlich, auch wenn er hier seine Quote in % noch verbessern muss.

Was in der Statistik noch auffällt, sind seine durchschnittlichen Zweikampfaktionen. Vor allem in den Bodenduellen ist Ivanov leicht unterdurchschnittlich, in den Luftduellen durchschnittlich. Wenn er hier noch etwas zulegt, kann er der Mannschaft in der Schlussphase helfen. Seine Performance (Form) ist in der Liga leicht schlechter als in der Nationalmannschaft, so dass er hier noch Luft nach oben hat. Die Statistiken zeigen, dass Ivanov nur ungern grätscht, seine Art zu verteidigen ist eher das gute defensive Positionsspiel. Als Spielertyp profitiert er bei der Eintracht davon neben sich einen Führungsspieler wie Eisen-Ermin zu haben. Das fehlt ihm in der Nationalmannschaft, bei dem er diese Rolle in der Abwehrkette selbst übernehmen muss.

Fazit

Ich denke, dass der Höhenflug von Robert noch nicht zu Ende ist. Aber er wird es schwer haben, auf einem noch höheren Niveau zu spielen. Das Beste wäre, wenn er jetzt bei der Eintracht ein paar erfolgreiche Jahre hat, sich in der Liga etablieren kann und in der Nationalmannschaft wieder angreift. Menschlich wünscht man ihm nur das Beste.



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