BTSV-Pressing: Monster oder Alibi?
11 min readMoin Löwen!
Ein wichtiger Teil der Löwen-Taktik in dieser Saison war das Pressing, welches in den Spielberichten bisher nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die es verdient. Beim Aufstieg 2022 war es Eintrachts Stärke, im Angriffspressing besonders aktiv und erfolgreich zu sein. Doch in der 2. Bundesliga sieht man in einigen Partien deutlich, dass die Eintracht nicht immer die beste Mannschaft auf dem Feld hat, wenn es um das Teampressing geht. Es stellt sich die Frage: Ist der BTSV in der Liga trotzdem ein Pressingmonster oder ist das Pressing nur ein Alibi? Werfen wir einen Blick darauf.
Los geht`s!
Pressing in der Theorie
Was ist gutes Pressing? Oft hört man nach einem Fussballspiel die Phrase: “Der Gegner hat ein gutes Pressing gespielt.” Doch was meinen wir damit? Laut Tobias Escher gibt es fünf wichtige Prinzipien, die ein gutes Pressingspiel ausmachen. 1) Pressing soll Druck auf den ballführenden Gegenspieler ausüben (sonst kann er befreit aufspielen). 2) Dem Gegner sollen Handlungsoptionen (“tote Räume”) genommen werden (sonst kann er ungehindert weiterspielen). 3) Es soll eine Überzahl um den ballführenden Spieler geschaffen werden. 4) Der Ort des Pressings soll lukrativ sein um z.B. selbst umschalten zu können und 5) Das Pressing sollte abgesichert und durchgesichert werden, damit der Gegner die möglichen Freiräume, die durch das Pressing entstehen, nicht ausnutzen kann.
Gutes Pressing wird oft mit der Pressinghöhe verwechselt. Grundsätzlich unterscheidet man drei verschiedene Arten bzw. Phasen des Pressings und teilt das Spielfeld in sechs Zonen ein, wie es z.B. Global Soccer Network (GSN) macht. Das Abwehrpressing findet in den Zonen 1 & 2 statt, also direkt vor dem eigenen Tor, das Mittelfeldpressing in den Zonen 3 & 4, hier pressen die Mannschaften auf beiden Seiten der Mittellinie. Im Angriffspressing wird der Gegner in der Nähe des gegnerischen Strafraums unter Druck gesetzt, das sind die Zonen 5 & 6.

Zum Pressing gehört auch noch das Pressingsignal. Nach Escher ist ein Pressingsignal ein vereinbartes Zeichen für die Mannschaft, zum Pressing überzugehen. Meist handelt es sich dabei um eine bestimmte Aktion des Gegners. Zum Beispiel ein schlecht angenommener Ball, ein Lauf in einen bestimmten Raum oder ein Pass zu einem bestimmten Gegenspieler. Eine Mannschaft verteidigt oft entweder Raum- oder Mann- bzw. Gegnerorientiert.
Eine Form des Pressings ist das Gegenpressing. In dieser Analyse konzentriere ich mich hauptsächlich auf das “normale” Pressingverhalten. Laut Escher ist das Gegenpressing das systematische Nachsetzen nach einem Ballverlust. Dabei befindet sich die Mannschaft häufig in einer offensiven Formation. Laut GSN hat die Eintracht in der Liga 4,30 Gegenpressingaktionen pro Partie und belegt damit Rang 13. Von diesen 4,3 Aktionen sind 1,50 erfolgreich (Rang 14), was einem Prozentsatz von 34,88% entspricht (Rang 11). Hier haben die Löwen schon mal ein wenig Luft nach oben.
Was will die Eintracht im Pressing machen?
Wenn man den BTSV im Pressing beobachtet, dann muss man zwei Dinge unterscheiden: das Anlaufverhalten (Muster eins) und das Teampressing* (Muster zwei). Beides werde ich später in meinem Beitrag ausführlich erläutern und analysieren. Die Unterscheidung ist aber wichtig, wenn wir die Hauptpressinghöhe und die aktivsten Pressingzonen der Braunschweiger analysieren wollen. Etwas über die Pressingintensität erfahren wir durch den PPDA-Wert (Passes Allowed Per Defensive Action) der Eintracht, der (laut GSN) mit 11,20 nur auf Rang 17 der Liga rangiert. Diese Metrik misst die Pressingintensität und setzt die gegnerischen Pässe ins Verhältnis zu den Defensivaktionen (PPDA). Je niedriger der Wert, desto intensiver das Pressing. Je höher der Wert, desto passiver das Pressing. Die Eintracht spielt im Verhältnis also ein eher passiveres Pressing.

Bei der Eintracht variiert die durchschnittliche Pressinghöhe auch etwas je nach Spielstand oder Heim- und Auswärtsspiel, aber grundsätzlich versucht man in der 2. Bundesliga das Mittelfeld und den Raum vor dem eigenen Strafraum dicht zu machen. Dies geschieht zum Beispiel durch bogenförmige Läufe, bei denen man die Passwege zustellt und mit Hilfe von Deckungsschatten das direkte Zuspiel verhindert. Man spricht von “Mittelblock”-Pressing. Bei der Eintracht ist es vor allem die Pressingzone 4, in der man versucht, die zentralen Zonen zu schließen und den Gegner daran zu hindern, durch diese Zonen bzw. Räume zu spielen. Dies ist die zweitaktivste Pressingzone im Teampressing.

Dazu presst die Eintracht den Gegner auch im Angriffspressing. Die aktivsten Zonen sind hier die Zone 6 (Teampressing) mit 5.13 Pressingaktionen pro Partie, also direkt im gegnerischen Strafraum, und die Zone 5 (Anlaufen), der Raum vor dem gegnerischen 16er. Diese beiden Zonen sind in ihrer jeweiligen Kategorie die aktivsten. Kompliziert? Es kommt noch mehr. Laut GSN hat die Eintracht in der Liga eine Zweikampfintensität von 6,65 (Rang 7), 214,10 Sprints pro Partie (Rang 6) und 645,80 intensive Läufe pro Spiel (Rang 13).

Wie soll man diese verschiedenen Daten einordnen? Wie kann man gleichzeitig passiv und aktiv sein? Es geht um unterschiedliche Phasen des Spiels und was Eintracht in diesen Phasen machen möchte. Will der Gegner das Spiel eröffnen, versucht die vorderste Abwehrlinie zum Beispiel den gegnerischen Torwart oder Verteidiger daran zu hindern, das Spiel kurz zu eröffnen. Hat der Gegner die erste Pressinglinie überspielt, zieht man sich zurück. Hier läuft man den Gegner dann eher einzeln an.
Rund um die Mittellinie sind die Löwen jedoch eher darauf ausgerichtet, den Gegner “in Schach zu halten”, als aktiv den Ball zu erobern. Die Defensive soll möglichst kompakt stehen, aber durch rechtzeitiges Verschieben auch die Breite sichern. Das heißt, man geht nicht sofort in den Zweikampf, sondern läuft den Gegner erst einmal an. Die Zweikämpfe finden dann eher wieder in der Nähe des eigenen Strafraums oder im “toten Raum” statt, in den man den Gegner lenken möchte. In den toten Räumen kann man den Ball so erobern, dass man direkt selbst umschalten kann. Dies macht die Eintracht auch am häufigsten in der Liga und ist mit 15,97 Balleroberungen mit anschließendem Angriff pro Spiel fester Bestandteil der Schiele-DNA.
Wie? Dazu komme ich jetzt.
Eintrachts Pressingmuster
Wie oben bereits kurz beschrieben, hat der BTSV zwei klare Pressingmuster, die systemunabhängig zu beobachten sind. Die Eintracht presst den Gegner sehr mannorientiert und verfolgt den Gegner auch über weite Strecken. Das bedeutet aber nicht, dass die Eintracht komplett auf raumorientiertes Pressing verzichtet. Beispielsweise wird dem Gegner im Mittelfeldpressing häufig erlaubt, einen Rückpass zu spielen. Grob gesagt gibt es hier einen Raum, der gedeckt wird (z.B. das Zentrum im Mittelfeld) und einen Raum, der nicht gedeckt wird (das letzte Drittel).

Muster eins ist das individuelle Anlaufen der Stürmer oder Mittelfeldspieler. Dies geschieht wellenförmig. Der ballführende Spieler wird von einem Spieler unserer Eintracht (oft bogenförmig) angelaufen. Wird der Ball dann weitergespielt, läuft der nächste Blau-Gelbe den Gegner an. Dies dient zwei Zwecken: den Gegner in seinem Aufbauspiel/Vorsetzungsspiel zu stören und, was noch wichtiger ist, den Gegner in die “toten Räume” zu lenken. Dort hat er keine oder zumindest keine guten Möglichkeiten, den Ball weiterzuspielen und Eintracht kann versuchen, den Ball zu erobern. Oder der Gegner muss den Ball zurückspielen, um einen anderen Weg durch Eintrachts Abwehrblock zu finden. Oder er spielt den Ball lang und versucht so, die Pressinglinien zu überspielen, wo er dann hoffentlich leichte Beute für die Eintracht-Abwehrspieler ist.


Ein Kritikpunkt, den man an dieser Stelle zu Muster eins äußern kann: Oft hat man als Zuschauer den Eindruck, dass das Pressing der Löwen ein “Alibi-Pressing” ist, weil der ballführende Gegenspieler nur einzeln angelaufen wird. Die Eintracht-Spieler scheinen den Gegner sehr oft so anzulaufen, allerdings resultiert daraus wenig direkter Ertrag. Das hat auch Global Soccer Network in seiner Analyse angemerkt: viele Sprints, unterdurchschnittliche Balleroberungen.
Muster zwei, welches man beobachten kann, ist das, was in den Zonen passiert, in denen der Gegner schlechte Handlungsoptionen hat bzw. den Ball unsauber annimmt und die Braunschweiger wissen, dass sie den Gegner jetzt nicht nur anlaufen sollen, sondern ihn auch aktiv in den Zweikampf verwickeln können. Steht der Gegner in dieser Zone mit dem Rücken zum Tor, wird der ballführende Spieler aus dem Deckungsschatten heraus aggressiv angelaufen und Eintracht kann versuchen, den Ball zu erobern. Der Gegner ist in einer Pressingfalle der Eintracht gefangen.

Situativ kann es auch sein, dass der Gegner nicht mit dem Rücken zum Tor steht, aber z.B. den Ball unsauber annimmt (auch in höheren Zonen). Häufig ist dann zu beobachten, dass Eintracht den Gegner aggressiv attackiert, allerdings meist nur mit maximal zwei Spielern und nicht immer koordiniert. Wichtig ist dabei, dass der Gegenspieler nicht aufdrehen kann und sich aus dem Druck befreien darf. Es gibt auch einige andere Pressingsignale oder Situationen, in denen die Eintracht ins Pressing übergeht. Beim Rückstand gegen Magdeburg diente z.B. ein Pass auf den Außenverteidiger als Pressingsignal. Diese sind jedoch seltener als die oben beschriebenen Muster.




Die Schwäche des zweiten Musters ist, dass spielstärkere Mannschaften das Pressing überspielen können. Der Gegner kann die Eintracht sogar ins Pressing locken, um dann den Ball über andere Spieler weiterzuspielen oder sich im 1 vs. 1 aufzudrehen. Wenn die Spieler ihre Abwehrlinie verlassen, entstehen dort Räume, die der Gegner bespielen kann. Auch hier spielt das Timing eine zentrale Rolle. Laufen die Spieler zu schnell auf den Gegner zu, ist die Gefahr sehr groß, dass der Gegner die entstehenden Lücken ausnutzen kann.
Besonders mit der Fünferkette und zu Beginn der Saison war zu sehen, dass Eintracht sehr mannorientiert verteidigt und die Spieler der Kette ihren direkten Gegenspielern bis ins Mittelfeld folgten. Das öffnet natürlich auch Lücken in der Kette, sollten die Spieler nicht ausreichend ab- und durchsichern. Echtes Angriffspressing findet zu selten Anwendung. Oft ziehen nicht alle mit und die Abstände zwischen den Ketten bleiben zu groß, weil auch die letzte Reihe aufgrund des fehlenden Tempos verständlicherweise nicht den Mut hat, ausreichend nachzurücken.

Außerdem weist die Eintracht ein einfaches Pressingverhalten auf, auf das sich der Gegner gut einstellen kann. So kann es z.B. passieren, dass der Gegner den Ball nicht zu dem Spieler spielt, von dem Eintracht annimmt, dass er angespielt wird, und stattdessen nur vortäuscht, den Ball dorthin zu spielen. Der Abwehrspieler von Eintracht läuft aber bereits den Spieler an, von dem er annimmt, dass dieser den Ball erhält. Hinter ihm entstehen freie Räume. Hier muss die Eintracht ausreichend ab- und durchsichern, damit der Gegner keinen Vorteil bekommt. Ein Manko der letzten Spiele: Der hintere Pfosten wird nicht bewacht (siehe Bild unten). Den Gegner ins Pressing zu locken, passiert auch den Großen, wie im Spiel Man City – Arsenal.


Das Pressing im (GSN)Daten-Check
Nun, wie sieht das Pressing der Eintracht im Vergleich zur Ligakonkurrenz aus? Laut GSN liegt man bei den erfolgreichen Pressingaktionen nur auf Platz 17 mit 6,23 erfolgreichen Aktionen von 16,47. Die Pressingzone 6 ist mit 42.76% oder 2.17 erfolgreichen Pressingaktionen pro Partie die erfolgreichste.
Die Eintracht hat die meisten Balleroberungen mit anschließendem Angriff (15,97), aber nur 2.63 davon enden mit einem Abschluss, was Rang 4 in der Liga bedeutet. In Prozent (16,47 %) bedeutet dies sogar nur Rang 13. Die erfolgreichste Zone in Bezug auf Balleroberungen der Eintracht ist die Zone 2 mit 5,20 Balleroberungen mit darauf folgendem Angriff. In Zone 5 hat Eintracht die meisten Abschlüsse nach Balleroberung mit 0,58 pro Partie. Eintracht hat vor allem Luft nach oben, wenn es um Teampressing-Aktionen geht und, wenn es um den Ertrag aus den Balleroberungen geht.
Die aktivsten und erfolgreichsten TOP5-Pressingsspieler der Eintracht sind:
Spieler | Pressingaktionen | Erfolgsquote % |
Anthony Ujah | 14.77 | 37.88% |
Lion Lauberbach | 14.30 | 37.79% |
Manuel Wintzheimer | 17.00 | 38.16% |
Immanuel Pherai | 15.59 | 40.30% |
Fabio Kaufmann | 16.66 | 40.35% |
Hier handelt es sich – vielleicht etwas weniger überraschend – um die Offensivspieler. Auf den Bildern in diesem Beitrag sind sie häufig zu sehen. Sie bestreiten viele Läufe gegen den Ball, sind auch im Angriffspressing aktiv und laufen den Gegner im Mittelfeld an. Sie sind es, die den Gegner in die “toten Räume” lenken und am Aufbau hindern.
Fazit
Ich habe diese Analyse mit der Frage begonnen, ob das Pressing der Eintracht ein Monster für den Gegner ist oder ob die vielen Anläufe nur Alibi-Versuche sind. Im Pressingverhalten haben die Löwen noch viel Luft nach oben, aber es ist klar, dass das Pressingspiel mit dem Umschalten eindeutig zur Eintracht-DNA gehört. Für die restlichen Spiele sollte es uns Mut machen, dass die Eintracht aktive Pressingspieler in ihren Reihen hat und damit auch ihr Spiel gestalten kann.
Hoffentlich kann Michael Schiele mit dem Klassenerhalt und einem weiteren Jahr in der 2. Bundesliga im Rücken seine Mannschaft weiter zu einem echten Pressingmonster formen. Noch sind sie es nicht, aber der Grundstein dafür wurde in dieser Saison gelegt. Dazu braucht es aber auch mehr Teampressing-Aktionen, taktische Veränderungen im Verschieben der Abwehrketten (z.B. engere Zwischenkettenräume) und mehr Variationen im Pressingverhalten.
*”zwei oder mehr Spieler, die koordiniert den ballführenden Spieler sowie ballnahe Spieler unter Druck setzen bzw. attackieren, um einen Ballverlust zu generieren.”